Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Maron
Vom Netzwerk:
spießig war eher ein Synonym für bürgerlich, und bürgerlich war ein Schimpfwort. Das Gegenteil von bürgerlich war modern. Für meine Mutter und den Genossen Keller war das Gegenteil von bürgerlich sozialistisch, und in den Jagdszenen auf dem Kaffeeservice hätten sie vermutlich eine Verherrlichung des Feudalismus entdeckt. Das Kaffeeservice, der Dutt, die cremefarbene Bluse, Andy, der seine Großmutter Mama nannte, weil seine leibliche Mama sich mit einer Postkarte von ihm verabschiedet hatte, das alles gehörte zu meinem ersten Bild von Olga.
    In meine Sympathie für Olga hatte sich auch immer eine Spur Mitleid, mitunter sogar Verachtung gemischt. Olga, die Mutter, Ehefrau, Großmutter, die ihr eigenes Leben verpasste. Auch hinter Olgas Liebe zu Andy, den sie sechs Jahre lang aufgezogen hatte, als wäre er ihr eigenes Kind, hatte ich vor allem die Leere vermutet, die Olga nach dem Auszug ihrer erwachsenen Kinder zu füllen suchte. Ich kannte bis dahin keine Frauen wie Olga. Meine Mutter und deren Freundinnen verdienten ihr eigenes Geld und liebten ihre Berufe, jedenfalls behaupteten sie das, auch wenn die so unsinnig waren wie der in einer sozialistischen Nachrichtenagentur mit der dicken Doro als Chefin.
     
    Allmählich gewöhnte ich mich an meine Sehstörung, die immerhin die Dinge an ihrem Ort beließ und somit die Orientierung nicht behinderte. Außerdem handelte es sich ganz gewiss nicht um eine plötzliche krankhafte Veränderung, nur um eine vorübergehende Irritation, einen Ausnahmezustand, der, wenn man sich erst einmal mit ihm abgefunden hatte, durchaus seinen Reiz hatte. Die Verwandlung des Alltäglichen in seine impressionistische Variante; Möbel, Wände, Bilder und Vasen, die sich mal in tanzende Punkte auflösten, mal in zart schwingende Wellen. Nur wenn ich an Olga dachte, erschien sie mir in klaren Konturen inmitten der flirrenden Gegenstände. Wie von Liebermann gemalt, saß sie aufrecht im Sessel, den Kopf leicht geneigt, als wollte sie mir ihre Gesprächsbereitschaft zu erkennen geben.
    Was veränderte sich durch Olgas Tod eigentlich? Wir hatten uns nur noch selten gesehen, ab und zu miteinander telefoniert, und ich hatte oft ein schlechtes Gewissen, wenn mir plötzlich einfiel, wie lange mein letzter Besuch bei Olga zurücklag. Trotzdem hatte der Gedanke, dass es Olga gab, immer etwas Beruhigendes, Wärmendes gehabt. Und jetzt kam es mir so vor, als wäre die Gewissheit, dass es Olga gegeben hatte, ebenso tröstlich.
Solange Du in unserer Erinnerung lebst, bist Du nicht tot.
Das war so ein Satz, den man nicht ernst nahm, wenn man ihn auf Grabsteinen oder in Todesanzeigen las. Aber genau so war es. Ich konnte Olga noch gar nicht vermissen, weil sie nicht abwesender war als in den letzten Monaten, als sie zehn oder elf Kilometer entfernt von mir gelebt und nur das Wissen umeinander uns zusammengehalten hatte. Olga war tot. Aber was hieß das, wenn Olga doch gerade deutlich erkennbar mir gegenübersaß und mich ansah, als wartete sie nur darauf, von mir angesprochen zu werden. Ach, Olga, sagte ich in den Raum, weniger eine Ansprache als ein kleines geseufztes Gedenken. Ach, Olga.
    Ja, Ruth.
    Meine Verwirrung entlud sich in einem nervösen Lachen. Bist du wirklich da, oder träume ich jetzt?
    Man muss nur lange genug an etwas denken, sagte Olga.
    Sie sah nicht aus wie ein Geist, sie klang nicht wie ein Geist, sie saß mir leibhaftig gegenüber und sprach zu mir wie immer.
    Olga, sagte ich vorsichtig, als setzte ich einen Fuß auf dünnes Eis, Olga, ich musste gerade daran denken, wie du eines Abends … – weißt du noch?
    Was?
    … wie du eines Abends zu mir gekommen bist, nachdem ich Bernhard verlassen hatte? Plötzlich standst du vor der Tür mit einem Strauß Margeriten und einem Brummkreisel für Fanny.
    Du hattest dich nicht mehr bei uns gemeldet, und wir wollten Fanny nicht verlieren, sagte Olga.
    Ich dachte, ihr müsst mich verabscheuen, Hermann und du. Hermann war schon immer ein Patriarch. Und du hättest nie getan, was ich getan habe. Du hättest niemals den Vater deines Kindes mit seinem kleinen kranken Sohn verlassen.
    Olga strich ihren Rock glatt, obwohl nicht die kleinste Falte darauf zu entdecken war. Nein, das hätte ich sicher nicht getan.
    Ich habe mich furchtbar gefühlt und geschämt.
    Du hast dich schuldig gefühlt, aber du bist trotzdem gegangen. Ich habe dich für deinen Mut bewundert.
    Olga sah mich lange an, als suche sie in meinem Gesicht nach den Spuren, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher