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Zwischen zwei Nächten

Zwischen zwei Nächten

Titel: Zwischen zwei Nächten
Autoren: Edith Kneifl
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Ich weiß auch nicht, warum es mit uns so weit gekommen ist. Wir haben uns nicht nur auseinandergelebt, sondern da ist auch noch etwas anderes mit im Spiel gewesen. Anna war krank, psychisch krank. Ich habe es nie wahrhaben wollen, ihre Depressionen nicht genügend ernstgenommen, gedacht, jeder Mensch ist manchmal depressiv, aber bei ihr ist es an die Substanz gegangen. Sie wollte einfach nicht mehr leben.“
    Ann-Marie war es von Anfang an nicht schwer gefallen, sich dem ‚American way of life‘ anzupassen. Noch von ihrer Studienzeit in Wien her gewohnt, die unmöglichsten Jobs zu machen, fand sie auch in New York immer wieder Arbeit. Die Palette ihrer Jobs reichte von Servieren und Putzen bis zu Deutschunterricht und dem Verkauf ihrer eigenartigen Plastiken aus Industrieabfällen. Sie hielt sich nicht für eine großartige Künstlerin, sondern bezeichnete ihre Skulpturen als ihren ganz persönlichen Beitrag zum Recycling. Daß sich damit auch noch ein bißchen Geld verdienen ließ, war ein angenehmer Nebeneffekt.
    Sie hatte ihr Studium an der Kunstakademie nicht abgeschlossen. Relativ spät erkannte sie, daß ihr das Unterrichten keinen Spaß machen würde. Nach acht Semestern Kunst- und Werkerziehung warf sie das Handtuch.
    Trotz chronischen Geldmangels erschien ihr das Leben in New York erträglicher als in Wien. Vor allem lernte sie die Anonymität schätzen. Kein Mensch kümmerte sich darum, wie und mit wem man lebte, niemand störte sich daran, wenn bis spät in die Nacht hinein das Radio lief oder wenn man morgens volltrunken die Stiegen hinauftorkelte. Gleichzeitig hatte sie aber auch die Erfahrung gemacht, daß Nachbarn liebenswürdige und hilfsbereite Menschen sein können – eine Erfahrung, die in Wien unmöglich zu machen war.
    Es existierte sogar eine Art Straßengemeinschaft, die ihren alljährlichen Höhepunkt in einem ausgelassenen Straßenfest fand. Die ganze Gegend nahm dann fast dörflichen Charakter an. Häuser und Gärten waren mit bunten Fahnen und Lampions geschmückt, die Leute tanzten auf der Straße, es gab Würstel, Chips, Coca Cola und Bier, Tombolas und Flohmärkte, bei denen Ann-Marie meist all ihr Gerümpel loswurde.
    An den übrigen 364 Tagen des Jahres gehörten die Straßen den Jugendlichen, die sich ununterbrochen mit Pop-Musik berieseln ließen und den Ruf hatten, nicht ungefährlich zu sein. Leute, die sie kannten, ließen sie jedoch in Ruhe. Es herrschte ein ungeschriebenes Gesetz: Man überfiel nur Fremde, das brachte mehr ein und weniger Scherereien.
    Ann-Marie war anfangs froh gewesen, die Puertoricaner im Haus zu haben. Die alte Frau vom Zeitungskiosk, eine der wenigen Weißen in dieser Gegend, hatte ihr erzählt, daß man eine Schutzgebühr entrichten mußte, wenn man in Frieden gelassen werden wollte. Bei Ann-Marie hatte sich nie jemand gemeldet. Wahrscheinlich galt diese Regelung nur für Geschäftsleute. Sie war nie ernsthaft in Schwierigkeiten gewesen, obwohl sie keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen traf. Meistens ließ sie sogar ihre Wohnungstür offen. Sie besaß ohnehin nichts, und ein neues Schloß kam teuer.
    „Ich glaub, ich hab vergessen, die Tür abzuschließen.“
    Alfred erhebt sich noch einmal schwerfällig von der Couch und geht ins Vorzimmer.
    „Fürchtest du dich vor ungebetenen Gästen?“
    „Nein. Die Tür springt nur so leicht auf.“
    Er lacht gezwungen.
    „Anna hat immer offen gelassen – noch ein Punkt, in dem wir unterschiedlicher Meinung waren“, versucht er zu scherzen und setzt sich wieder neben sie, redet weiter auf sie ein.
    Bald versteht sie kein Wort mehr, es scheint, als spräche er in einer fremden Sprache zu ihr. Sie raucht eine Zigarette nach der anderen, nickt ihm manchmal, scheinbar aufmerksam, zu und hängt ihren eigenen Gedanken nach.
    Anna hat sich nicht umgebracht. Niemals hätte sie sich von der Terrasse gestürzt. Eine Überdosis Tabletten – vielleicht –, das hat sie ja schon einmal versucht. Aber ihren Körper zerstören? Nein, dazu wäre sie niemals fähig gewesen. Sie hat sich doch so sehr auf New York gefreut, ihre Stimme am Telefon ist voller Zärtlichkeit gewesen. In so einer Verfassung macht man nicht Schluß. Zumindest hätte sie mir ein paar Zeilen hinterlassen, wenigstens versucht, mir zu erkläre, warum sie es tun muß. Alle, mit denen ich bisher gesprochen habe, sagten, daß sie sich sehr gut gefühlt hat. Nur Alfred behauptet das Gegenteil. – Er muß es ja wissen.
    Daß sie die Wahrheit wahrscheinlich
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