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Zwischen sieben und zwölf Uhr

Titel: Zwischen sieben und zwölf Uhr
Autoren: Anne Katherine Green
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gilt, sie innerhalb der erwähnten Frist zurückzubekommen, und erwarte dasselbe von Ihnen. Sind sie bis Donnerstag abend zur Stelle – dabei zitterte die Hand, die er ausgestreckt hielt und an der sich die Finger krampfhaft zusammenkrümmten, sichtlich vor innerer Erregung – so erhalten Sie Freitag nachmittag von mir fünfhundert Dollars. Sind sie zur Stelle ohne Lärm, Aufsehen oder, dabei ließ er die Stimme noch mehr sinken, Belästigung für meine Frau, so werde ich die Summe auf tausend erhöhen. Ist das nicht anständig? schloß er, indem er einen leichteren Ton anzuschlagen versuchte, jedoch nicht eben mit besonderem Erfolg.

    Sehr anständig, war meine kurze, aber ehrerbietige Entgegnung. Mein Interesse für den Fall war nun genügend geweckt, und ich wandte mich bereits der Türe zu, als er mich zurückhielt.
    Noch einen Augenblick, sagte er. Ich habe mich bemüht, Ihr Urteil nicht durch meine eigenen Mutmaßungen oder Schlüsse zu beeinflussen. Aber wenn Sie die Sache untersucht haben und Sie zu irgendeiner festen Auffassung gelangt sind, möchte ich gerne etwas von Ihnen hören.
    Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen,meine Beobachtungen mit Ihnen zu besprechen, war meine Entgegnung, und da ich sah, daß er keine weiteren Bemerkungen zu machen habe, so schickte ich mich an, ihn nach oben zu begleiten.
    Das Haus war prachtvoll ausgestattet und das Treppenhaus nicht am wenigsten. Im Hinaufgehen ruhte der Blick allenthalben auf den reichsten Holzschnitzarbeiten und Tapetenmustern. Auch an blinkendem Metall war kein Mangel, das durch tiefrote Glasscheiben fallendes Licht in üppige Glut getaucht wurde. Oben befand sich eine viereckige Diele, mit Divans ausgestattet und dicht mit Teppichen belegt. An einer Seite verhüllte eine halbzugezogene Portiere den Eingang zu einer Reihe von Räumen, die ebenso glänzend eingerichtet waren, wie das ganze übrige Haus, während sich an der andern eine geschlossene Tür befand, auf welche Herr Winchester zuschritt. Ich folgte ihm eilig, als ein junger Mann, der von oben herabkam, uns begegnete. Herr Winchester wandte sich sogleich um.
    Gehst du aus? fragte er den jungen Mann in einem Tone, dem es zwar an verwandtschaftlicher Herzlichkeit fehlte, der aber doch die väterliche Autorität erkennen ließ.
    Der stattliche, hübsche junge Mann hielt in einer eigentümlichen, zögernden Weise inne.
    Und du? entgegnete er, indem er meine Gegenwart absichtlich übersah oder sie vielleicht auch wirklich nicht bemerkte, da ich mehrere Schritte von ihm entfernt und etwas im Schatten stand.
    Wir müssen uns bei Smiths auf einige Augenblicke zeigen, gab Herr Winchester zurück.
    Nein, ich gehe nicht aus, erklärte der junge Mann und begab sich nun wieder die Treppe hinauf.
    Herrn Winchesters Auge folgte ihm. Nur auf einen Augenblick; aber für mich, gewohnt wie ich es bin, auch die kleinsten Einzelheiten in Wesen und Ausdrucksweise der Menschen zu beachten, lag in diesem Blick eine Sprache, die der Mutmaßung ein weites Feld eröffnete.
    Ihr Sohn? forschte ich, näher zu ihm tretend.
    Meiner Gattin Sohn, erwiderte er; und ohne mir Gelegenheit zu einer weiteren Frage zu lassen, öffnete er die vor ihm befindliche Tür und ließ mich eintreten.
    Eine hochgewachsene elegante Frau mittleren Alters saß vor dem Spiegel und ließ eben von einem jungen weiblichen Wesen, das neben ihr auf dem Boden kniete, die letzte Hand anlegen an ihre reiche Toilette. Ein auffallendes Bild, und zwar nicht vermöge der Umgebung von Reichtum und Glanz, die sich ringsum bemerklich machte, sondern durchdas Gepräge der beiden Gesichter, welche, obwohl von durchaus verschiedener Art und vielleicht den zwei entgegengesetzten Grenzgebieten der Gesellschaft angehörig, doch beide mehr durch die Stärke und Besonderheit ihres Ausdrucks auffielen, als durch den Zug von Unruhe und unterdrückter Besorgnis, der sie beide als im Banne eines einzigen, tiefen, finstern Gedankens stehend erscheinen ließ.
    Die Jüngere bemerkte uns zuerst und erhob sich. Trotz ihrer niederen Stellung und trotz der Unterwürfigkeit, mit der sie ihrer Umgebung zu begegnen gewohnt war, lag in ihren Bewegungen die größte Anmut und ein gewisser Liebreiz in ihrem ganzen Wesen, Eigenschaften, die den Blick unwillkürlich zwangen, ihr zu folgen. Ich gestattete mir übrigens nicht lange dieses Vergnügen, denn im nächsten Augenblick hatte Frau Winchester unsere Gestalten im Spiegel erblickt, worauf sie sich mit einer gewissen kalten
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