Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande
Autoren: E Kellison
Vom Netzwerk:
deutlich seine Absicht.
    »Liebling?«, drang die hohe, schrille Stimme ihrer Mutter an ihr Ohr.
    Ein Schrei bildete sich in Annabellas Kehle und formte sich zu einem festen Knoten der Angst.
    Aber der Wolf blieb am Rand des Lichtkegels einer Straßenlaterne stehen. Er bleckte die Zähne, bellte ein paarmal wie Gewitterdonner, trat aber nicht in den Lichtschein. Das Bellen traf sie wie Schläge, aber sie blieb auf ihrem Sitz. Lief nicht in die Dunkelheit davon.
    Langsam drehte der Wolf eine Runde um den Lichtkegel, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. Er wartete.
    Wenn sie das Laternenlicht wie einen Umhang um sich hätte schlingen können, hätte sie es getan. Sie war fest entschlossen, die ganze Nacht auf der Bank zu verbringen, bis die Sonne aufging, und das Monster verbrannte.
    »Liebling?«
    »Ja.«
    »Der Hund?«
    Ein Wolf . »Ich glaube, er ist verrückt«, stieß sie hervor. »Ich rühre mich einfach nicht. Und atme nicht. Vielleicht lässt er mich in Ruhe.«
    »Ach, Liebes.« Jetzt weinte ihre Mutter.
    »Es tut mir leid, Mom.« Die Tränen in ihrer Stimme gesellten sich zu denen ihrer Mutter. Der Wolf beendete seine erste bedrohliche Runde. »Ich hätte ein Taxi nehmen sollen. Ich verspreche, dass ich ab jetzt immer ein Taxi nehme.«
    Ihr Blick folgte dem Tier, das eine zweite Runde drehte, aber anscheinend in einem größeren Bogen, denn er entfernte sich von der Bank.
    Das schrille Quietschen der Busbremsen lieferte die Erklärung. Der Bus war gekommen und hielt mit einem Zischen. Dort drinnen war es taghell. Die Rettung.
    »Was ist das?«, wollte ihre Mutter wissen.
    Die Bustür klappte auf. Annabella lachte, während ihr die Tränen über die Wangen liefen und trat aus dem Licht der Straßenlaterne in die Sicherheit. »Der Bus. Ich bin im Bus.«
    »Oh, Gott sei Dank«, keuchte ihre Mutter in das Telefon. »Kommst du jetzt klar?«
    Wenn alle Lampen in ihrer Wohnung brannten und sie anständig schlafen konnte. »Ja, ich glaube schon.«
    Während sie sich auf einem Sitz niederließ, blickte sie aus dem Fenster auf die dunkle Straße und suchte nach Anzeichen von Bewegung. Ich hoffe es .

2
    Engel. Custo konnte es nicht ertragen, dass sie in seinen Kopf eindrangen, sie lasen seine Gedanken und ließen ihre hineinströmen.
    Alle brachten ihm Verständnis entgegen, hießen ihn willkommen und gaben ihm eine wirre Erklärung, inwiefern sie über diesen und jenen absurden Stammbaum mit ihm verwandt waren. Eine große glückliche Familie. Er wollte ihnen allen sagen, dass sie sich verpissen und ihn verdammt noch mal in Ruhe lassen sollten. Aber er wusste, dass ihnen das bei diesem ganzen Hin und Her von Gedanken mehr als klar war.
    Die Bombardierung mit mentalen Dialogen nahm deutlich zu, je näher er den aufwendig verzierten Marmorgängen der Gedenkhallen kam – jedes kleinste Detail erzählte die Geschichte der Welt. Brachte es sie um, wenn sie den Mund zum Sprechen benutzten? Ihre ständigen nonverbalen Geschichten und Reden über die perfekte Ordnung des Universums weckten in ihm den Wunsch, ihnen den fröhlichen Ausdruck aus den Gesichtern zu prügeln. Wen interessierte die Schöpfung, wenn auf der Erde Krieg herrschte?
    Die Menschheit gegen die Geister. Ein Verräter in Segue, der einzigen Abwehr gegen die unsterblichen Seelensauger.
    Aber sie ließen sich nicht durch noch so vieles Fragen, Schreien oder Um-Hilfe-Betteln bewegen. Jeder Moment, der verging, war ein vergeudeter Moment.
    Also hielt Custo sich so gut wie möglich von den Hallen fern, schlich um das Tor herum und wartete darauf, dass der kalte Mistkerl zurückkehrte, der Schattenmann. Es gab nur ein Problem. Der Tod kam zwar häufig vorbei, aber Custo musste ihn abfangen, bevor er wieder fort war. Genau wie die Engel hatte der dunkle Todesbote sein Flehen nicht erhört, als er gestorben war. Und wenn der Tod die Seelen ablieferte, entfernte er sich schnell wieder, bislang stets zu schnell, als dass Custo ihn hätte abfangen und überzeugen können.
    Aber es musste einen Weg geben.
    Custo erklomm die weißen Steinstufen an der Außenwand des Tores und strich mit den Fingern über die aufwendigen Verzierungen, die die gewaltige Grenze zwischen den Zwielichtlanden und dem Himmel schmückten. Eine begabte, sehr geduldige Seele hatte den elfenbeinfarbenen Stein in ein kompliziertes Gitterwerk verwandelt, in das winzige Tiere und Pflanzen eingearbeitet waren sowie Gesichter und Gestalten von Generationen und Generationen von Menschen, jungen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher