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Zwielicht

Zwielicht

Titel: Zwielicht
Autoren: Dean R. Koontz
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Bendingo zog den Schlitten mit Ryas Leiche. Hin und wieder löste der unverwüstliche Horton einen der beiden ab. Wildpfade im Wald. Ein Baldachin aus grünen Tannenzweigen, zum Teil schneebedeckt. Ein gefrorener Bach, der als Weg benutzt wurde. Ein offenes Feld. Sie hielten sich dicht am Waldrand. Eine kurze Rast. Heiße Bouillon, die mir aus einer Thermosflasche eingeflößt wurde. Abenddämmerung. Wind. Nacht.
    Bei Einbruch der Dunkelheit wußte ich, daß ich weiterleben würde, daß ich nach Hause zurückkehren würde. Aber ohne Rya würde es kein Zuhause sein. Und welchen Sinn sollte ein Leben ohne sie haben?

32 -  Zweiter Epilog
     
    Träume.
    Träume von Tod und Einsamkeit.
    Träume von Verlust und Trauer.
    Ich schlief sehr viel. Und wenn mein Schlaf unterbrochen wurde, so war meistens Doktor Pennington der Störenfried, der ehemalige Alkoholiker und allseits beliebte Arzt des Sombra Brothers Carnival, der mich schon einmal betreut hatte — damals, als ich mich in Gloria Neames' Wohnwagen verstecken mußte, nachdem ich Kelsko und dessen Assistenten ermordet hatte. Auch diesmal kümmerte er sich rührend um mich, legte mir Eisbeutel auf die Stirn, verabreichte mir Spritzen, überwachte streng meinen Puls und ermahnte mich immer wieder, soviel Wasser — und später Saft — zu trinken, wie ich nur konnte.
    Ich befand mich an einem eigenartigen Ort: einer kleinen Kammer mit rohen Holzwänden, die auf zwei Seiten nicht ganz bis zur Decke reichten. Festgestampfte Erde als Boden. Die obere Hälfte der Holztür fehlte, so als wären die Zimmerleute ihrer Arbeit plötzlich überdrüssig geworden. Ein altes Bett. Eine Lampe auf einer Apfelkiste, die als Nachttisch diente. In der Ecke ein Heizlüfter.
    »Schrecklich trockene Hitze«, meinte der Arzt. »Das ist nicht gut. Alles andere als gut. Aber wir müssen uns im Moment damit begnügen. Wir wollten dich nicht in Hortons Haus unterbringen. Keiner von uns kann dort herumlungern. Den Nachbarn würde auffallen, daß er plötzlich soviel Gäste hat, und sie würden darüber reden. Hier hinten fallen wir niemandem auf. Die Fenster sind geschwärzt worden, damit kein Licht nach draußen fällt. Nach dem Grubenunglück suchen die Trolle unermüdlich nach Ortsfremden. Es wäre sehr töricht, sie auf uns aufmerksam zu machen. Deshalb wirst du die trockene Hitze weiter ertragen müssen, obwohl sie für deinen Hals nicht gerade nützlich ist.«
    Allmählich hörten die Fieberfantasien auf.
    Ich hätte nun wieder vernünftig reden können, war aber zu schwach, um Worte zu bilden, und als dann die Schwäche verging, war ich viel zu deprimiert zum Sprechen. Doch schließlich konnte ich meine Neugier nicht mehr bezwingen. »Wo bin ich?« flüsterte ich heiser.
    »Im Stall hinter Hortons Haus, am Ende seines Grundstücks. Seine verstorbene Frau liebte Pferde«, berichtete der Arzt. »Damals, bevor sie starb, hatten sie Pferde. Dies ist ein Stall mit drei Boxen, und in einer davon liegst du.«
    »Als ich Sie gesehen habe«, murmelte ich, »da habe ich mich gefragt, ob ich in Florida bin. Sind Sie extra von Gibtown hergekommen?«
    »Joel meinte, daß vielleicht ein Arzt benötigt würde, der die Schnauze halten kann, was soviel bedeutete wie ein Schaustellerarzt, und das wiederum bedeutete — ich.«
    »Wie viele von euch sind hergekommen?«
    »Nur Joel, Luke und ich.«
    Ich wollte ihm sagen, daß ich ihnen zwar dankbar sei, daß es mir aber lieber gewesen wäre, man hätte mich dort im Schacht sterben lassen. Dann wäre ich mit Rya wieder vereint gewesen. Aber meine Gedanken verwirrten sich wieder, und ich schlief ein.
    Ich träumte.
    Träume von Tod und Einsamkeit.
     
    Als ich wieder erwachte, heulte der Wind um die Stallwände.
    Auf dem Stuhl neben meinem Bett saß Joel Tuck. Er beobachtete mich aufmerksam. Der riesige Mann mit dem verunstalteten Gesicht, dem dritten Auge und dem greiferartigen Kiefer hätte ohne weiteres eine Erscheinung aus meinen Fieberträumen sein können, irgendein mächtiger Geist.
    »Wie fühlst du dich?« fragte er.
    »Mies«, flüsterte ich heiser.
    »Hast du einen klaren Kopf?«
    »Einen viel zu klaren.«
    »Dann werde ich dir ein bißchen erzählen, was so alles passiert ist. Ein schreckliches Grubenunglück hat sich ereignet.
    Mindestens 500 Tote, vielleicht noch mehr. Vielleicht die schlimmste Grubenkatastrophe aller Zeiten. Staatliche Inspekteure sind eingetroffen, und die Rettungsmannschaften arbeiten noch immer, aber es sieht nicht gut aus.«
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