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Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel
Autoren: Federica de Cesco
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Feind von gestern wurde zum Verbündeten von heute und vielleicht zum Beschützer von morgen. Ein unbekanntes Gefühl des Friedens erfüllte sie mit einem Mal. Die Vorsehung hatte sie doch noch nicht ganz verlassen. Sie winkte Usir zu sich heran.
    Â»Komm her, Atlantide. Du hast meine Tochter gefangen genommen und ich wollte dich töten. Heute aber ist sie aus freiem Willen deine Gefangene.«
    Usir errötete. »Was willst du damit sagen?«, stammelte er verlegen.
    Ein Lächeln glitt über das strenge Antlitz der Königin. »Sie ist die Gefangene ihrer Gefühle … und der deinen.«
    Isa senkte die Wimpern, hob sie jedoch sofort wieder. In ehrfurchtsvollem, aber festem Ton entgegnete sie: »Verzeih mir, meine Mutter. Dieses Gefühl möchte ich nicht aus meinem Herzen verbannen.«
    Zena holte tief Atem. »Das Schicksal hat uns ein sonderbares Los auferlegt. Als einzige Überlebende unserer beiden Völker gehen wir einer ungewissen Zukunft entgegen. Eure Nachkommen werden ein neues Land bewohnen und die Erinnerung an unsere frühere Heimat wird mehr und mehr verblassen.«
    Sie schwieg eine Weile; in ihren Augen glitzerte das letzte, goldene Sonnenlicht. Dann sagte sie: »Ihr sollt wissen, dass ich eure Verbindung billige, ja, dass ich sie sogar wünsche.«
    Usir spürte, wie Isas Atem rascher ging. Sie beugte sich vor, ergriff die Hand ihrer Mutter und legte sie an ihre Stirn. Dann hob sie wieder den Kopf und blickte in unbestimmter Angst zu ihr hin.
    Â»O Königin, du sprichst, als weiltest du schon nicht mehr unter uns …«
    Zenas Gesicht blieb unbewegt. Ihr undurchdringlicher Blick schien sich in der Ferne zu verlieren. »Der ›Sternenstein‹ ruft mich aus der Tiefe des Ozeans«, sagte sie. »Der Augenblick ist gekommen, zu lauschen und Antwort zu geben.«
    Sie wandte den Kopf ab; im Halbdunkel war nur noch der kupferne Umriss ihrer Wange zu erkennen. Etwas ging von ihr aus, das ihnen verbot weitere Fragen zu stellen. Usir spürte, dass ihr Geist weit, sehr weit von ihnen entfernt war, entrückt in jene unbestimmbaren Gefilde, in die sie ihr nicht folgen konnten. Sein Blick schweifte zu Isa hinüber und er las in ihren Zügen die gleiche traumbefangene Schwermut. Flüchtig berührte er ihre Hand. Sie sah ihn nicht an, ihr Gesicht blieb abwesend, wie versteinert; doch die warmen, gelösten Finger antworteten mit festem Druck.
    Nach einer Weile strich Zena eine Haarsträhne aus ihrer Stirn und sagte mit müder Stimme: »Geht jetzt. Ruht euch aus. Die Nacht wird kurz sein.«
    Der Himmel hatte die Farbe glühender Asche angenommen. Die ersten Sterne leuchteten über dem Meer. Die reglose Gestalt der Königin wurde eins mit dem tiefen Schatten der Klippen.
    In der Morgenfrühe stachen sie in See. Wasser und Luft waren klar wie Kristall und am Horizont schimmerte schon ein schmaler Lichtsaum. Sie fuhren nach Osten, da diese Richtung sich bisher als günstig erwiesen hatte. Die Magnetnadel vom Kompass hatte plötzlich wieder zu reagieren begonnen. Breite, sanfte Wellenkämme rollten langsam heran.
    Als die Strahlen der Sonne wie glitzernde Pfeile über den Horizont schossen, war die Insel schon in der Ferne verschwunden.
    Fünf Tage verstrichen, ohne dass sich etwas Besonderes ereignete. Das Meer blieb ruhig und das Wetter mild. Immer wehte ein leichter Wind, der tagsüber frisch und während der Nacht feucht war. Oftmals begleitete sie ein Schwarm übermütiger Delfine. Die glänzenden Körper glitten geschmeidig durch die Wellen. Jeden Tag holten die Amazonen reichlich Fisch an Bord. Oft tauchten sie auch, ein Messer zwischen den Zähnen, wenn in geringer Tiefe Sandbänke sichtbar wurden. Sie brachten Seeigel und allerlei Muscheln herauf. Doch die Vorräte an Trinkwasser erschöpften sich immer mehr. Außer einigen felsigen, kahlen Inselzügen kam kein Land in Sicht. Es gab keinen Seetang, keinen Farbtupfer am Horizont, der auf einen Küstenstreifen hätte schließen lassen. Wieder befiel die Überlebenden Zweifel und Mutlosigkeit. Waren sie nach all den überstandenen Prüfungen dazu verurteilt, bis zum Tod durch Verdursten auf dem Wasser umherzuirren?
    Am Morgen des sechsten Tages hob sich die Sonne als feuerroter Ball über den Horizont. Kein Windhauch regte sich; die Segel hingen schlaff am Mast. Eine eigentümliche Stille breitete sich über dem Ozean
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