Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Schritte hinter mir

Zwei Schritte hinter mir

Titel: Zwei Schritte hinter mir
Autoren: Norah McClintock
Vom Netzwerk:
nutzte, auch wenn es durch den Ofen im Frühling und Herbst vielleicht auch noch warm genug blieb. Vielleicht war es eine Jagdhütte. Der Gedanke ließ mich schaudern. Jäger haben Gewehre. Jäger töten gerne.
    Denk nicht daran , befahl ich mir streng. Denk daran, wie du hier rauskommst. Bleib ruhig. Konzentrier dich.
    Ich ließ meine Zunge über meinen trockenen Gaumen gleiten. Was würde ich nicht für einen Schluck Wasser geben. Ich stellte mir vor, wie ich die Hände zusammenfügte und eisiges Wasser aus einem Fluss oder See an meine Lippen führte. Es kam mir vor wie flüssiger Honig.

    Konzentrier dich, Steph! Du willst Wasser? Dann finde einen Ausweg – und zwar schnell!
    Wieder sah ich mich in der Hütte um. Doch dieses Mal sah ich mich nicht nur um, ich konzentrierte mich auf das, was ich sah. Das ist ein großer Unterschied. Man kann sehen, ohne wirklich hinzusehen. Das hat mir mein Großvater beigebracht, als er mich das erste Mal in den Wald mitnahm und ich mich beschwerte, dass es so langweilig war, weil da nichts als lauter alte Bäume waren. Er zeigte mir, wie man hinsehen musste und dass diese Bäume die Säulen eines riesigen Gebäudes waren, in dem eine große Familie von Tieren wohnte – Tiere, Insekten, Reptilien und auch Pflanzen – die dieses Gebäude zum Leben erweckten. Er zeigte mir auch viele andere Sachen. Mein Herzschlag beruhigte sich ein wenig. Ich konnte wieder atmen. Beim Gedanken an Grandpa ging es mir immer besser. Ich zwang mich, die Hütte so zu betrachten, wie Grandpa eine Wiese oder ein Flussbett ansehen würde.
    Ich begann in einer Ecke und suchte den Raum systematisch mit den Augen ab. Ich war schon zu drei Vierteln fertig und drauf und dran, den Mut zu verlieren, als ich sie sah: die spitzen Enden von drei – nein vier – rostigen Nägeln, die aus ein paar aufrechten Pfosten ragten, an die ein paar neuere Bretter genagelt waren. Es sah aus, als hätte jemand ein Loch repariert,
aber schlampig gearbeitet. Und das war gut für mich. Wenn es mir gelang, mich vor einen der rostigen Nägel zu setzen, konnte ich das Seil vielleicht daran reiben, bis es zerriss. Vielleicht.
    Ich brauchte ein paar schrecklich lange Minuten, bis ich mich halb über den Boden zum nächsten Nagel gerobbt und gezogen hatte. Meine Beine und Hände waren völlig gefühllos. Ich hoffte, dass das an der Kälte lag und nicht daran, dass das Seil so fest war, dass es mir das Blut abschnürte. Weitere kostbare Minuten brauchte ich, um mich so in Position zu bringen, um das Ende des Nagels in das Seil zu bohren, das meine Hände und Füße zusammenschnürte. Das war viel schwieriger, als ich erwartet hatte. Ständig verlor ich den Nagel, weil ich mich nicht umsehen konnte, und ich war nicht immer sicher, dass der Nagel die richtige Stelle am Seil traf. Und die ganze Zeit über machte ich mir Sorgen, dass mein Entführer zur Tür hereinkommen könnte.
    Von der verrenkten Haltung taten mir langsam die Arme weh. Was war, wenn das nicht funktionierte? Wenn ich mich nicht befreien konnte?
    Ich arbeitete immer hektischer – und stieß ein Heulen aus. Etwas Scharfes stieß in mein Handgelenk. Der Nagel. Ich spürte etwas Warmes, Feuchtes. Vielleicht war es Schweiß. Vielleicht aber auch Blut? Hatte der rostige Nagel mir die Haut durchstoßen? Von rostigen
Nägeln konnte man Wundstarrkrampf bekommen. Davon kann man sterben.
    Noch ein Grund, hier abzuhauen , sagte ich mir. Langsam wurde es dunkel in der Hütte. Bald ging die Sonne unter. Ich versuchte, die Panik zu unterdrücken, während ich das Seil mechanisch gegen den Nagel stieß, doch ich musste ständig daran denken, was passieren würde, wenn ich mich nicht von den Fesseln befreien konnte. Würde ich dann hier auf dem Boden der alten Hütte sterben?
    Dann geschah ein Wunder. Das Seil, das meine Handgelenke mit den Knöcheln verband, gab nach.
    Meine Handgelenke waren noch immer gefesselt, ebenso wie meine Füße. Aber zum ersten Mal verspürte ich Hoffnung. So viel hatte ich schon geschafft. Ich würde noch mehr erreichen.
    Ich zog mich in eine sitzende Position hoch, streckte die steifen Beine und wackelte mit den Zehen. Es fühlte sich gut an. Ich holte tief Luft. Dann schob ich langsam die Hände den Rücken hinunter, bis ich darauf sitzen konnte. Wenn ich nur kurz den Hintern anheben könnte … Geschafft!
    Ich arbeitete meine Handgelenke unter meinen Körper hindurch und weiter an den Beinen entlang, winkelte die Knie an und schob das Seil unter den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher