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Zwei Herzen im Winter

Zwei Herzen im Winter

Titel: Zwei Herzen im Winter
Autoren: MERIEL FULLER
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blonde Haar zog. Sie kannte diesen eigensinnigen Ausdruck und wusste, dass sie vergeblich auf weitere Einzelheiten des peinlichen Vorfalls warten würde. Mit der gleichen störrischen Verschlossenheit reagierte Emmeline, wenn Felice ihr Fragen über ihre Ehe mit Giffard de Lonnieres stellte. Über diese Verbindung schwieg sie wie ein Grab. Felice war jedoch nach wie vor der Überzeugung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, Emmeline damals mit Giffard verheiratet zu haben, als der reiche Kaufmann zwei Jahre nach Anselms Tod um ihre Hand angehalten hatte. Felice war immer davon ausgegangen, Emmeline führe eine glückliche Ehe. Als aber Giffard bei einem Jagdunfall ums Leben kam, hatte Emmeline seltsam ungerührt, ja erleichtert gewirkt.
    Nachdem das Haar ihrer Tochter zu zwei dicken Zöpfen geflochten war, die ihr wie goldene Stränge über den Rücken hingen, nahm Felice einen dichten Leinenschleier aus dem Weidenkorb und befestigte ihn unter einem schmalen Goldreif auf ihrem Scheitel, den sie mit Nadeln feststeckte. Dabei nahm sie sich fest vor, Emmeline nie wieder mit offenem Haar aus dem Haus zu lassen. Welche Schande!
    „Geoffrey brachte mir eine Nachricht von Sylvie“, begann Emmeline nach einer Weile und brach das Schweigen. Sie holte das knisternde Pergament aus dem Beutel an ihrem Gürtel. Mittlerweile war es draußen noch dunkler geworden. Der Regen prasselte leise gegen die straff gespannte Ziegenhaut an den Fensteröffnungen.
    „Was schreibt sie?“, fragte Felice teilnahmslos. Sie hatte ihrer ältesten Tochter nie verziehen, ihr Kind im Stich gelassen zu haben.
    „Es scheint ihr nicht gut zu gehen in England, Maman . Ich werde sie besuchen.“
    „Wieso eigentlich? Sylvie hat sich dafür entschieden, Barfleur und uns den Rücken zu kehren mit … diesem Mann. Und sie hat ihr Kind im Stich gelassen.“ Felice stocherte mit dem Schürhaken aufgebracht in der Glut. Ein Funkenregen stieg auf, die Flammen züngelten am Wasserkessel hoch, der über dem Feuer hing. Der würzige Duft nach frisch gebackenem Brot im Ofen erfüllte die Stube.
    Emmeline wandte sich wieder an ihre Mutter. Ihr großen grünen Augen glänzten in ihrem bleichen, herzförmigen Gesicht. „Weil sie deine Tochter und meine Schwester ist. Weil wir die Pflicht haben, uns um sie zu kümmern, trotz allem, was sie sich zuschulden kommen ließ.“
    „Du hast ein gutes Herz, mein Kind“, entgegnete Felice ungerührt. „Aber wenn ich daran denke, was sie uns angetan hat …“, sie schüttelte den Kopf, „… fällt es mir schwer, ihr zu verzeihen.“
    „Sie konnte doch nicht wissen, dass die kleine Rose krank wird. Es war nicht ihre Schuld.“
    Felice nickte stumm und holte einen runden Laib mit brauner Kruste aus dem Ofen. Emmelines Magen begann zu knurren. Sie war seit dem Morgengrauen auf den Beinen, ohne etwas gegessen zu haben.
    „Aber wie willst du nach England kommen?“ Felice schnitt das Brot in dicke Scheiben und hob jäh den Kopf. „Eine Überfahrt um diese Jahreszeit ist doch kaum möglich, ganz zu schweigen von der Rückfahrt.“
    „Ich habe eine Idee, Mutter“, sagte Emmeline gedehnt und biss herzhaft in das frische Brot. Sie entsann sich der rätselhaften Bemerkung des jungen Gefährten von Lord Talvas unten am Hafen. „Ich habe das Gefühl, Kaiserin Maud ist auf der Suche nach einem Schiff, das sie nach England bringt.“
    Felice entfuhr ein spitzer Schrei. Sie umklammerte die Rückenlehne des Stuhls. Die einzige Tochter von König Henry, Kaiserin Maud, hatte einen furchteinflößenden Ruf und war für ihre Grausamkeit berüchtigt.
    „Emmeline, mit solch einer hochgestellten Persönlichkeit hast du nichts zu schaffen. Halte dich von ihr fern! Wieso will sie ausgerechnet jetzt den Kanal überqueren? Gott weiß, was passieren kann. Es ist viel zu gefährlich.“
    Emmeline zuckte gleichmütig mit den Achseln. „Nichts wird passieren, Mutter. Und es geht mich nichts an, aus welchem Grund sie nach England will. Ich weiß lediglich, dass sie einen guten Preis bezahlen wird, vorausgesetzt, ich finde eine erfahrene Mannschaft.“ Lecherche würde in diesem Jahr keine Fahrt mehr wagen, den brauchte sie erst gar nicht zu fragen. Für ihn war das Wetter schon jetzt zu unbeständig und die Strömungen zu gefährlich gewesen. Aber es gab andere Bootsführer, die sie fragen konnte. Mit etwas Glück könnte sie Sylvie schon in einer Woche besuchen.
    „Morgen reite ich nach Torigny“, verkündete sie zwischen zwei
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