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Zwei Herzen im Winter

Zwei Herzen im Winter

Titel: Zwei Herzen im Winter
Autoren: MERIEL FULLER
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Bissen.

3. KAPITEL
    Kaiserin Maud saß auf einem gepolsterten Hocker am Bett ihres Vaters König Henry. Besorgt nahm sie seine wächserne knochige Hand und schüttelte den Kopf.
    „Ich verstehe diese plötzliche Krankheit nicht, Robert“, sagte sie leise an ihren hageren Halbbruder gerichtet, der an einem der hohen schmalen Fenster des Turmgemachs stand. „Heute früh auf der Jagd war er noch völlig gesund und munter.“
    Robert löste den Blick von den kahlen Bäumen des ausgedehnten Laubwalds, und drehte sich um. Sein Haar, das er nach normannischer Art kurzgeschnitten trug, wies den gleichen kastanienbraunen Schimmer auf wie das seiner jüngeren Schwester. Der Earl of Gloucester war seinem hohen Rang entsprechend prächtig gekleidet. Seine eng anliegenden grünen Beinkleider aus feinster Wolle waren vom Knie abwärts mit Lederriemen verschnürt, bis hin zu den knöchelhohen Stiefeln aus weichem Ziegenleder. In dem überheizten Gemach hatte er seine dunkelbraune Tunika abgelegt. Das fein gewebte weiße Leinenhemd stach hell von den feucht glänzenden grauen Mauern ab. Umhang und Schwert hatte er in der Großen Halle abgelegt, als er dabei half, seinen kranken Vater die steinerne Wendeltreppe drei Stockwerke hinauf in den Ostturm zu tragen.
    „Offenbar wurde er von einem unerklärlichen Fieber befallen“, stellte Robert fest. „Wir können nichts dagegen tun, Maud. Auch der Arzt ist ratlos.“
    Beim Jagdausflug an diesem Morgen war der König plötzlich krank geworden. Robert, der einen Hirsch verfolgte, hatte sich nach seinem Vater umgedreht und ihm zugewinkt, ihm zu folgen. Das bleiche Gesicht des Königs hatte ihm einen Schrecken eingejagt. Noch während Robert kehrtgemacht und vom Pferd gesprungen war, geriet Henry ins Wanken, glitt aus dem Sattel und stürzte ohnmächtig zu Boden.
    „Also müssen wir mit seinem Tod rechnen.“ Mauds Worte hallten dumpf von den runden Mauern des Turmgemachs wider, ihre Besorgnis um ihren kranken Vater war nicht zu überhören. Sie hatte ihr Jagdkostüm abgelegt und trug ein wallendes Gewand aus hellrotem Samt, das ihren üppigen Rundungen schmeichelte. Ihre ehemals zierliche Figur, ein Erbgut ihrer Mutter, der angelsächsischen Königin Edith, war seit der Geburt ihres zweiten Sohnes ziemlich unförmig geblieben. Zudem hatte sie die seitlichen Bänder des Bliauts zu eng über ihre Leibesmitte geschnürt.
    Die mit kostbaren Juwelen besetzten Ringe an ihren kurzen Fingern funkelten im Widerschein des Feuers. Der in aller Eile herbeigerufene Leibarzt des Königs hatte Anweisung gegeben, das Feuer im Kamin zu schüren, damit die Hitze das Fieber austreibe. Nun prasselten dicke Scheite im mannshohen Steinkamin, in dessen Einfassung kunstvoll verschlungene Ornamentmuster eingemeißelt waren. Maud erhob sich schwerfällig, beugte sich über ihren Vater und küsste ihn auf die bleiche Stirn.
    „Denk an dein Versprechen, Vater, das Versprechen, das du mir gegeben hast“, flüsterte sie. Das verächtliche Schnauben vom Fenster her ließ sie die Stirn runzeln.
    „Als hättest du ihm je Gelegenheit gegeben, es zu vergessen“, spöttelte Robert und verzog die Mundwinkel. „Haben nicht genug Edle einen Eid darauf geleistet?“
    „Ich will es nur noch einmal aus seinem Mund hören!“, entgegnete Maud gereizt.
    „Bischöfe, Äbte und Barone des Reiches haben den Schwur geleistet“, rief Robert ihr in Erinnerung. „Was willst du mehr? Alle haben sich damit einverstanden erklärt, dass du nach dem Ableben unseres Vaters die Thronfolge als Königin von England und der Normandie antrittst.“
    „Sei nicht ärgerlich mit mir, Robert, das ertrage ich nicht.“ Maud seufzte. „In Wahrheit müsstest du sein Nachfolger werden.“
    Robert lachte freudlos. „Der Makel meiner unehelichen Geburt verwehrt mir das Recht, je König zu werden, liebe Schwester. Das würden die Barone niemals dulden.“ Ein Lächeln huschte über seine hageren Gesichtszüge. „Und ich bin zufrieden, wie es ist. Ich habe Gloucester und eine steinreiche Frau.“ Eine Gemahlin, die er wohlweislich auf seine Stammburg verbannt hatte, da es nicht nur auf Torigny ansehnliche Damen gab, mit denen er sich zu vergnügen wusste.
    „Ja, eine Gemahlin, die du nur selten siehst, weil du mich ständig begleitest.“
    „Der König hat mir deine Sicherheit ans Herz gelegt, wie du sehr wohl weißt.“
    „Und dafür bin ich dir dankbar, Robert. Du stehst mir näher als mein Gemahl Geoffrey. Wieso Vater die Heirat mit
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