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denn die Spiralfeder war samt Munition aus dem Magazin herausgesprungen. Es herrschte ein unvorstellbares Durcheinander, wie ich es selten bei einem Einsatz erlebt habe.
Zwei Tote, ein Schwerverletzter und zwei Männer mit nicht ganz so dramatischen Verwundungen waren die traurige Bilanz. Ein Kollege hatte Splitter von der Handgranate abbekommen, und Richard E. wurde bei seiner Flucht ins Gebüsch von Schüssen getroffen. Beide kamen ebenfalls ins Krankenhaus. Noch während wir uns am Tatort aufhielten und auf die Kriminalpolizei warteten, brachen die an der Autobahn stationierten Gruppen nach Trudering auf, drangen in die Wohnung des Drahtziehers Wilhelm P. ein und nahmen den 50-Jährigen fest. Er ließ es widerstandslos geschehen. Bei der Durchsuchung des Anwesens wurde ein ganzes Arsenal an Sprengmaterial entdeckt. Die Bande hatte offenbar noch einiges vorgehabt.
Es blieb nicht aus, dass das Durcheinander bei diesem Einsatz noch lange Gegenstand von Untersuchungen war. Zwar wurde der mutige Einsatz des SEK gelobt, doch es blieb die Frage, ob die Toten und Verletzten hätten vermieden werden können. Mit Unterstützung des Zentralen Psychologischen Dienstes der Bayerischen Polizei stellten wir deshalb den Einsatz nach. Was hätten wir besser machen können? Hatten wir überhaupt eine andere Wahl, nachdem eine Handgranate gezündet worden war? Leider ließen sich die Vorgänge nicht mehr eindeutig klären. Die beteiligten SEK -Angehörigen, die von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hatten, konnten sich nicht mehr präzise erinnern. Die einen wussten nicht einmal, wie oft sie geschossen hatten, die anderen sprachen von » schallgedämpften Wahrnehmungen«. Es war, als ob sie sich körperlich und seelisch gegen eine unerträglich hohe Stressbelastung oder sogar gegen Todesangst geschützt hätten. Anhand der fehlenden Munition in den Magazinen versuchte man schließlich nachzuvollziehen, wie viele Schüsse von wem abgegeben wurden. Auch das war nicht absolut zuverlässig, weil die Magazine zwar voll sein sollten, aber es erfahrungsgemäß nicht immer waren. SEK -Männer sind halt manchmal ebenfalls vergesslich.
Ich besuchte meinen schwer verletzten Gruppenführerkollegen im Krankenhaus. Zum Glück ging es dem Ferdinand bereits besser. Er zeigte mir eine Röntgenaufnahme, auf der ich sehen konnte, wo das Geschoss eingedrungen war. Im rechten Schulterbereich – genau an der Stelle, wo die Panzerweste, wenn man sich vorbeugte, keinen Schutz bot. Das damalige Modell – der Vorfall führte nämlich zu einer Verbesserung der Schutzkleidung.
Mit einem Lineal maß ich den Durchmesser des Geschosses: 10 mm. Somit stammte die Kugel nicht aus einer Polizeiwaffe, denn wir benutzten nur Kaliber 9. Sofort rief ich meine Dienststelle an, die wiederum das Polizeipräsidium informierte. Alle atmeten auf, dass es sich nicht um eine verirrte Polizeikugel gehandelt hatte. Doch wir hatten uns zu früh gefreut. Kurz darauf erschien der Stationsarzt und überreichte mir für unsere Untersuchungen das unbeschädigte herausoperierte Projektil. Ich traute meinen Augen nicht, als ich es sah. Ohne Zweifel ein 9-mm-Polizeigeschoss. Der Mediziner erklärte mir, Röntgenaufnahmen würden leicht verzerren und die Kugel minimal größer erscheinen lassen.
Siedend heiß fiel mir mein Anruf bei unserer Dienststelle ein. Postwendend eilte ich erneut ans Telefon, um die Sache richtigzustellen. Zu spät. Die Falschmeldung war bereits auf den Weg gebracht und entsprechend trotz Korrektur das Medienecho. Plötzlich geriet der ganze Polizeieinsatz in die Kritik, und Schlagzeilen über » tödliche Fehler« waren an der Tagesordnung. Das größte Problem aber war und blieb die Ungewissheit, wer der unglückliche Schütze gewesen sein mochte. Es ließ sich angesichts des damaligen technischen Standes nie definitiv feststellen. Trotzdem gab es Ermittlungen, und obwohl ein Ergebnis ohne Konsequenzen geblieben wäre, war uns allen mulmig zumute. Irgendwie überlegte jeder, ob er, rein theoretisch, von seiner Position während des Einsatzes den Ferdinand hätte treffen können. Zumindest in dieser Hinsicht kam ich zu einem ganz eindeutigen und für mich beruhigenden Nein.
» Könnt ihr einen Dreizentnermann aus einem Schwimmbecken holen?« Ich stutzte, als diese Anfrage mich irgendwann an einem gar nicht so sonnigen Frühsommertag erreichte. Wer ging denn bei so mäßigem Wetter ins Schwimmbad, dachte ich mir. Eben ein schwer übergewichtiger und zudem
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