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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang
Autoren: Markus Werner
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vollends aus der Fassung gebracht, fragte stotternd: Kennen Sie mich?
    Und in die große Stille hinein sprach Zündel: Ei, der Rölfli, der hat nämlich immer in die Hosen geseicht! Oberschwester Gertrud, im Hintergrund stehend, brachte ihr Taschentuch nicht mehr rechtzeitig an den Mund und quäkte los.
    Eine Sekunde später war das gesamte Gremium überwältigt und schüttelte sich hemmungslos.

    Zündel aber wurde am folgenden Tag in eine psychiatrische Klinik überwiesen.

    Psychiater: Sie sind also Herr Zündel?
Zündel: Bestellt.
Psychiater: Was ist bestellt?
Zündel: Überhaupt.
    Psychiater: Herr Zündel, wir wollen Ihnen helfen! Zündel: Selber.
    Psychiater: Sie möchten sich selbst helfen? Zündel: Fersengeld.
    Psychiater: Wir wollen jetzt ein bißchen Geduld haben, nicht wahr, Herr Zündel!
    Zündel: Treue ist besser.
    Psychiater: Herr Zündel, hören Sie ab und zu Stimmen?
    Zündel: Treue ist besser.
Psychiater: Besser als was?
Zündel: Knickerbocker.
    Psychiater: Hören Sie Stimmen, Herr Zündel? Spricht jemand zu Ihnen, den Sie mit den Augen nicht sehen?
    Zündel: Wird gesehen!
Psychiater: Wer denn, Herr Zündel?
Zündel: Der Dritte der Äußeren.
    Psychiater: Versuchen Sie mir das zu erklären. Zündel: Barfüßer. Wüstendemut.
    Psychiater: Herr Zündel, wann ist Ihr Geburtsdatum?
Zündel: Eben. Faltig.
Psychiater: Wer oder was ist faltig?
Zündel: Nicht registriert.
Psychiater: So, hm hm.
Zündel: Ja ja, abwärts.
Psychiater: Hm.
Zündel: Bucklig.
Psychiater: Ja?
Zündel: Abgesättigt.
Psychiater: Ja?
Zündel: Obere Heimat.
Psychiater: Reden Sie ruhig!
Zündel: Psst!
Psychiater: Hören Sie etwas?
Zündel: Psst!

    Doktor Läderach schlug Schizophrenie vor. Doktor Hasler plädierte für einen depressiven Stupor. Man einigte sich auf abwartendes Beobachten.

    24

    Ich besuchte ihn am 8. August, einem regnerischen Samstag. Er schien mich zu kennen, denn als ich eintrat in sein Zimmer, sagte er: Predigt? - Ja, morgen! sagte ich. - Die Lämmer, flüsterte er, Obacht geben! - Ja Konrad, sagte ich gerührt.
    Dann schwiegen wir lange. Wie geht's dir denn? fragte ich schließlich. Er sagte stockend: Die Krallen wollen nicht wachsen. Wart's ab, sagte ich, laß dich nicht unterkriegen! Bitte, sagte er, dank mich bitte ab, besser jetzt als im Tiefschnee.
    Zuerst wird gelebt, lieber Konrad, antwortete ich, über die Abdankung können wir in einigen Jahrzehnten wieder reden!
    Er fragte: Und die Kummerdisteln? Die wachsen in jedem Garten, sagte ich. Und die Wölfe? Sind auch Geschöpfe Gottes! Amen! schrie er. Ich runzelte die Stirn.
    Er sagte: Versenken, mit Wackersteinen füllen und versenken, im Marianen-Graben, dort wo das Meer am tiefsten ist.
    Du, sagte ich nach einer Weile, ich muß dir noch etwas Unangenehmes ausrichten, Magda wird dich in den nächsten Tagen nicht besuchen können. Sie hatte wahnsinnige Bauchschmerzen letzte Nacht und wurde heute morgen vom Hausarzt ins Spital gebracht. Blinddarm. Sie ist bereits operiert und läßt dir durch mich die liebsten Grüße schicken. Es geht ihr gut. Soll ich ihr etwas ausrichten von dir?
    Konrad saß da, als hätte er nichts gehört. Schließlich sagte er: Wer's glaubt, wird selig. Wer was glaubt? fragte ich. Er antwortete nicht, schien mich gar nicht mehr wahrzunehmen. Sein Gesicht wirkte zart und durchsichtig, fast totenhaft.
    Ich überließ ihn seiner Versunkenheit und zog mich zurück.

    Am Sonntagmorgen besuchte ihn der Schulleiter.
Nimm dir ruhig Zeit zum Gesundwerden! sagte er zu Zündel.
Ersetzt? fragte Konrad.
Ja, antwortete der Rektor, wir haben einen Stellvertreter für dich gefunden.
Straff, so straff seid ihr! sagte Zündel.
    Ach weißt du, oft trügt der Schein, meinte der Rektor. Selten, sagte Zündel, und was steht auf dem Zettel? Auf welchem Zettel?
    Auf dem Zettel am Anschlagbrett, was steht da, was steht da über mich?
    »Bis auf weiteres abwesend«, antwortete der Rektor. Soso! rief Zündel, und seine Augen flackerten.

    Am Montag kam Mutter Johanna. Als sie eintrat, sagte Konrad: Hinaus mit Lilith! Bub, mein lieber, sagte Johanna weinend. Zündel floh in eine Ecke des Zimmers und flüsterte: Falsche Madonna, legst dich einfach unter diesen schwarzgalligen Vagabunden, und ich muß es ausfressen, und ich muß es ausfressen, mich quetscht man im dicksten Januar schamlos aus dem Bauch.
    Konrad, Konrad! rief Johanna, aber er wurde wieder ganz blaß und sprach kein Wort mehr.

    Am Dienstag erschien er nicht zum Abendessen. Sein Zimmer war
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