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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Autoren: Heidi Hassenmüller
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Fürsorglich stützte Hubert sie und führte sie in die schattige Küche. “Da bist du ja endlich, mein Guter. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Hättet ihr nicht anrufen können, du weißt doch, wie ich mich aufrege, wenn ihr später kommt?” — “Ein Stau, Mutter!” — “Ist ja gut, macht nichts. Hauptsache, du bist da.” Sie begrüßte Gaby und die Kinder. “Eure Bettwäsche habe ich auf den Biedermeier-Stuhl gelegt. Beziehen könnt ihr sie doch selber?” — “Natürlich können wir”, versicherte Gaby schwach und konnte an nichts anderes mehr denken als an kühles Wasser über ihren heißen, verschwitzten Körper. “Darf ich duschen?” fragte sie und setzte gleichzeitig entschuldigend hinzu: “Ich schwitze sonst nie, aber jetzt, du verstehst, mein Zustand.”
    “Dabei sieht man gar nicht so viel”, sagte Mutter. “Natürlich kannst du duschen. Die Dusche für die Studenten ist im Keller.” Mutter vermietete einige Zimmer ihres alten Hauses an Studenten. “Die sind zum Wochenende fort, und man weiß zumindest, daß man es nicht mit irgendwelchem Pöbel zu tun hat”, sagte sie.
    Die Studentendusche im Keller hatte nicht genug Wasserdruck. Schon eine halbe Stunde stand Gaby unter der schwach tröpfelnden Dusche und versuchte vergebens, das Haarshampoo auszuspülen. Kurz entschlossen zog sie ihren Bademantel an und ging wieder nach oben in die Küche. “Vorsicht, du tropfst”, sagte Mutter. “Das ist mehr, als die Dusche tut”, versuchte Gaby zu scherzen. “Habt ihr nicht noch eine andere Dusche? Die im Keller gibt den Geist auf.”
    “Meine Studenten duschen dort immer”, beharrte Mutter. “Vielleicht nicht bei vierzig Grad, wenn die Quelle am versiegen ist.” Mutters ganzer Stolz war die eigene Wasserquelle, die schon seit eh und je die mehr oder weniger blaublütigen Besitzer des Hauses mit klarem Wasser versorgte. “Vielleicht kann Gaby in deinem Badezimmer duschen?” schlug Hubert vor.” Du hast dort ja einen großen Wasserspeicher stehen.” — “Mein Badezimmer?” Gaby fühlte, Hubert hatte etwas absolut Unmögliches gesagt. “Mein Badezimmer, mein Guter, das ist nur für meine Familie. Wenn deine Frau nicht im Keller duschen kann, hier auf dem Herd steht ein Kessel voll Wasser. Wir haben uns früher auch im Handstein gewaschen.”
    Zusammen mit dem warmen Wasser, das Hubert ihr schweigend über die Haare goß, fühlte sie ihre Tränen in den Ausguß rinnen. Und zusammen mit ihnen spülte sie auch die Hoffnung fort dazuzugehören. Hubert hatte mit keinem Wort seiner Mutter widersprochen. Gehörte sie als seine Frau nicht auch mit zu ihrer Familie? Sie hatte so sehr gehofft, einmal im Leben dazuzugehören. So wie andere Kinder zu einer Mutter und zu einem Vater gehörten.

    Für Mutti war sie, nachdem Pappi bei ihnen lebte, immer mehr eine Fremde geworden. Oft glaubte sie ihre Feindschaft zu spüren. Sie hatte sie nie mehr gestreichelt, sie nie mehr in den Arm genommen. Als sie als Sechsjährige zu Mutti gesagt hatte: “Ich finde Pappi gar nicht mehr lieb!” Da hatte Mutti ganz erstaunt eine Augenbraue hochgezogen und gemeint: “Das ist ja etwas ganz Neues. Wenn er jemand anbetet, dann doch sein Zuckerpüppchen. Für dich würde er alles tun.” Das Kind Gaby hatte nichts mehr gesagt. Was wußte Mutti damals? Ahnte sie nicht, was sich da in ihrer Wohnung abspielte? Warum hatte sie nie gefragt: “Warum findest du Pappi nicht mehr lieb?” Um Himmels willen, warum hatte sie nie gefragt: “Warum?”
    Wieso fragte Hubert seine Mutter nicht: “Warum läßt du meine Frau nicht in dein Badezimmer? Sie gehört jetzt zu uns.” Warum mußte sie mit ihrem dicken Bauch zusammengekauert vor dem Handstein hocken, den Kopf tief über den Ausguß gebeugt? Sie roch die Fäulnis, die aus dem alten Abflußrohr hochstieg, und ihr wurde übel. Konnte sie es einer Frau wie seiner Mutter übelnehmen? Wie schlank und kühl sie in der Küche gestanden hatte. Wahrscheinlich mußte sie nicht daran denken, jemanden wie sie in ihr Badezimmer zu lassen. Nicht nur weil sie verschwitzt und plump aussah, wahrscheinlich ahnte sie, daß bei ihr viele Dinge nicht abzuspülen waren. Viele unaussprechliche Dinge.
    Eine Frau wie sie hatte vielleicht keine Ahnung, wie tief man hinabsteigen konnte, aber sie fühlte es. So wie die Bäuerin, bei der das Kind Gaby zur Sommerfrische gewesen war, gesagt hatte: “Ein eigenartiges Kind. Habt ihr ihre Augen gesehen? Das sind doch keine Kinderaugen.” So hatte
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