Zuckerleben: Roman (German Edition)
Goldmedaillen, bahnbrechenden Entdeckungen und astronomischen Errungenschaften der U d SSR die Rede ist, nimmt den Großteil der Sendezeit ein und geht nahtlos in den dem kapitalistisch-imperialistischen Ausland gewidmeten Teil über, der mit Hiobsbotschaften über Streiks, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, Geschlechtskrankheiten, soziale Unruhen und Rassismus bestritten wird. Schließlich folgen wieder erfreulichere Meldungen aus den sozialistischen Bruderstaaten, wobei hier das Hauptaugenmerk auf Großprojekte gelegt wird, die in Zusammenarbeit mit der Sowjetunion entstanden sind: Eine Direktübertragung aus dem Weltall zeigt, wie sich der sowjetische Kosmonaut Anton Polikarpow und sein athletischer DDR -Kollege aus Karl-Marx-Stadt auf einem Trainingsfahrrad in Form halten, wobei der gut gelaunte Polikarpow dabei mit einem schwerelos schwebenden Rubik-Würfel spielt. Ihr grinsender vietnamesischer Kollege Hung Chim schwebt überraschend ins Bild hinein, sagt ein kurzes Esenin-Gedicht auf, winkt dem sowjetischen Fernsehzuschauer zum Abschied und wünscht ihm in akzentfreiem Russisch Frieden und angenehme Träume aus dem sozialistischen Weltall.
Und als zum Abschluss noch die attraktive sowjetische Wetterdame Olesja den Wetterbericht für alle Klima- und die elf Zeitzonen der U d SSR bringt, fängt der Vorsitzende des Nüchternheitskomitees des Rayons Dondușeni, der Zweite Sekretär des Rayonskomitees der KP d SU des Rayons Dondușeni und Direktor der rayonalen Zuckerfabrik von Dondușeni Wadim Wladimirowitsch Hlebnik gleichsam an, genüsslich seinen 1500-Liter-Alkoholbottich über den Bulibascha von Otaci zu kippen, wobei der Neigungswinkel des Samagon-Tanks bei der Ankündigung der zu erwartenden Temperaturen an der sowjetischen Pazifikküste stets sein Maximum erreicht. Der Alkohol schwappt schubweise auf Tudorel-Deomid Balmus über, der sich in seinem Bett zu wehren versucht, sich aber weder vom Fleck bewegen noch den Samagon-Massen durch die spastisch-verrenkenden Bewegungen seines Rumpfes entkommen kann. Und als der Tank komplett leer ist und der strohblonde Wetterfrosch Olesja das Wetter für die Republik Karelien an der finnischen Grenze ankündigt, steckt Direktor Hlebnik die rechte Hand in seine rechte Hosentasche, wühlt darin ein bisschen, nimmt daraus ein langes Streichholz und:
FLIRR – RATSCH!
Direktor Hlebnik entzündet es mit zwei Fingern und einer eleganten Bewegung an der Sohle seines linken Cowboystiefels und wirft es gemächlich auf den Bulibascha von Otaci herab. Das brennende Streichholz fällt wie in Zeitlupe auf Tudorel-Deomid Balmus herunter, der sich die Seele aus dem Leib schreit und sich die Hände schützend vors Gesicht hält.
FLIRR – RATSCH – FLUUUUUUUUUUUUUUUUUUUMMMM!
Als das brennende Streichholz mit den 1500 Litern Samagon in Kontakt tritt und eine Stichflamme über dem Körper des Bulibascha von Otaci hochschießt, flüstert Hlebnik Tudorel-Deomid Balmus ins Ohr: »Bis morgen Nacht, trotzkistische Zigeunerschlampe!«
Und dematerialisiert sich.
Dann reißt der Bulibascha von Otaci seine Augen auf und wacht aus seinem Hlebnik-Albtraum schweißgebadet im eigenen lauwarmen Urin auf – unterbewusst hat sein Körper wohl versucht, mit allen Mitteln das vom sadistischen Direktor Hlebnik veranstaltete Flammeninferno zu löschen … – und kann nicht mehr einschlafen. So geht es seit vier Tagen, das gleiche Programm mit dem Wetterbericht, dem Ausschütten der 1500 Liter Schnaps und dem Flammeninferno zum Schluss, jede Nacht. Jede Nacht der Hlebnik-Spuk.
Der Bulibascha von Otaci entledigt sich seiner Kleidung, gibt per Funk seinem Concierge die Anweisung, dass sein Bett in genau einer Stunde von Nichifor dem Reinen persönlich und niemand anderem sonst in Ordnung und seine Kleidung in die Reinigung gebracht werden soll, nimmt eine schnelle Dusche, rasiert sich, zieht eine neue Wäschegarnitur über, schießt sich 2 Gramm brasilianischen Kokains mit Nichifors 500-Francs-Schein ins Gehirn hoch und verlässt sein Schlafzimmer.
Auf dem Korridor, durch dessen Panoramafenster der Bulibascha kurz den Anblick der rotierenden Cohiba-farbenen Mühlenflügel seines EL GITANO genießt, greift Tudorel-Deomid wieder zum Funkgerät und bestellt bei Nichifor dem Reinen drei reißfeste Chiquita-Bananen-Kisten mit Deckel, 2 Kilogramm Watte und einen Stechkarren.
Dann weist er seinen Leibwächter Kolja, der ihn im Flur per Kopfnicken begrüßt, an, ihm zu folgen.
Vor einer
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