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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort
Autoren: Lutz van Dijk
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rannte zu ihr. »Danke, dass du meine Puppe repariert hast!«, rief ich. Lisa versuchte wie damals zu lächeln. Aber ich sah, dass ihr ebenso wie mir Tränen über die Wangen liefen.

    Nur ein paar Monate später gab es eine neue böse Überraschung. Als Edith und ich von der Schule heimkamen, erwartete uns Jutta heulend am Tor. Sie zog mich sofort hinauf in den Speisesaal. Edith lief hinterher. Und da sahen wir auch schon die Bescherung. Ein Trupp von Malern war dabei, alle Märchenbilder in den Zimmern und im Speisesaal mit einem langweiligen Grau zu übertünchen. Alle Kinder, die schon aus der Schule zurück waren, sahen ungläubig und traurig zu. Als Edith und ich ankamen, verschwand gerade der letzte Heinzelmann unter einer Schicht Farbe.
    Tante Ella versuchte, es uns zu erklären: »Die Männer tun nur ihre Pflicht. Es ist ein Befehl. Das Haus soll vielleicht für andere Zwecke benutzt werden.« Unser Heim? Für andere Zwecke? Was sollte das bedeuten?
    Wir sollten es allzu bald erfahren. Onkel Isidor weihte Mutter ein paar Monate später als Erste darüber ein, dass in den Kellern unter der Küche, die ja Mutters Reich war, demnächst Luftschutzkeller für die deutsche Bevölkerung gebaut werden sollten. Er hatte nichts dagegen machen können, obwohl das Haus Eigentum der Israelitischen Religionsgemeinschaft war. »Gemeinnutz geht vor Eigennutz!«, hatte ihn ein Beamter der Stadtverwaltung angebrüllt.
    Â»Aber gibt es denn Krieg?«, fragte Mutter erschrocken. »Wieso denn Luftschutzkeller? Die braucht man doch nur, wenn Bomben geworfen werden?« Meine Mutter war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Aber jetzt zitterte ihre Stimme.
    Â»Nein, keinen Krieg«, versuchte Onkel Isidor sie zu beruhigen. »Nur Vorsichtsmaßnahmen...«

    Mutter glaubte ihm kein Wort. Das war nur zu deutlich. »Aber warum dann bei uns? Und wenn es wirklich Krieg gibt, dann werden wir bestimmt als Letzte in die Luftschutzkeller dürfen, oder?«
    Onkel Isidor war am Ende seines Lateins. »Frau Levitus«, sagte er leise und beinah zärtlich zu Mutter, »dieses Haus ist zuerst für die Kinder da und das wird so bleiben, solange ich hier bin!«
    Obwohl Mutter eine stattliche Frau war, die vielen Respekt einflößte, wirkte sie in diesem Moment unsicher neben ihm. Ein so starker Mann mit einem dichten dunklen Bart. Ich vertraute ihm. Grenzenlos.

DIE NACHT DER FLAMMEN
    Nur ein paar Tage später kamen die Arbeiter, ein ganzer Trupp. Einfache Leute, lauter Christen. Sie hatten den Auftrag von der Stadtverwaltung, die Kellerkonstruktionen so zu verstärken, dass die Räume unter dem gesamten Waisenhaus für den Luftschutz zu gebrauchen wären.
    Als sie kamen, setzten sie sich erst mal auf eine Bank im Hof und fragten Mutter, ob sie was zu trinken haben könnten. Mutter blieb erst reserviert, aber nachdem Tante Rosa ihr ermunternd zugezwinkert hatte, kochte sie eine große Kanne Kaffee.
    Â»Riecht gut, Ihr’n Kaffe!«, meinte einer von ihnen in breitem Frankfurter Dialekt. Mutter antwortete nichts. Sie sah, wie er eine Flasche mit Schraubverschluss öffnete und irgendeinen Schnaps dazugoss. »Mei’ Kaffeesahn!«, meinte er gut gelaunt. Zwei seiner Kollegen taten es ihm nach.
    Dann gingen sie hinunter an die Arbeit. Sie machten einen Heidenlärm. Die beiden unteren Etagen bebten von ihrem Gehämmer.
    Als sie zur Mittagspause wieder hochkamen und in einer Ecke des Hofs beieinander saßen, meinte Mutter:
»Ich dachte, Sie bauen etwas auf? Aber Sie scheinen ja erst mal das ganze Haus abreißen zu wollen.«
    Â»Gud’ Frau«, entgegnete der Älteste, der sich am Morgen auch den meisten Schnaps in seinen Kaffee gegossen hatte, »meinense bloß net, mir mache so was gern für den Scheiß-Hitler! Der will doch bloß Kriesch! Wofier denn sonst so bleede Keller baue?«
    Mutter hielt die Luft an. Wollte er sie auf die Probe stellen? Aber dazu schien er bereits viel zu betrunken.
    Â»Isch hab nix gesche Judde, werklisch net!«, fuhr er dann mit etwas schwerer Zunge fort. Dabei packten er und seine Kollegen die mitgebrachten Wurstbrote aus. Einer nickte zustimmend. Zwei andere sagten nichts, zeigten aber auch keine Spur von Widerspruch.
    Â»Wollen Sie noch einen Kaffee?«, fragte Mutter. Sie hatte Angst, dass die Unterhaltung zu politisch werden könnte. Und sie war nicht sicher, wie ernst die
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