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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya
Autoren: Aysegül Acevit
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türkischen Gefangenen an ihre Wärter. Die »Band«, die Musik macht, war die Bande der türkischen Musiker, die im Krieg vor dem Heer marschierten, und der »Gugelhupf« soll dem osmanischen Turban nachempfunden sein. Doch letztlich darf man nicht vergessen, dass so manches auch einfach nur »getürkt« war.
    Mehmet von Königstreu
    Der Junge war vielleicht 15 Jahre alt, oder auch etwas älter, hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Nach seiner Geburt hatten seine Eltern ihm den Namen Mehmet ins Ohr geflüstert. Mehmet, der Starke, der Mutige, der Treue. Ob sie geahnt hatten, dass ihren Sohn ein außergewöhnliches Schicksal erwartete und er eines Tages all die guten Wünsche der Eltern dringend benötigen würde? Mehmet, ein türkischer Junge, der von deutschen Soldaten verschleppt wurde und später eine deutsche Adelsdynastie begründete.
    Doch als er damals irgendwo in den Tiefen des Osmanischen Reiches geboren wurde – vielleicht in Anatolien, vielleicht auf dem Balkan –, ahnte noch niemand etwas von seinem ungewöhnlichen Schicksal. Es gab viele, die ein ähnliches Schicksal hatten, doch kein Türke hat es zu seiner Zeit in Deutschland so weit gebracht wie er.
    Das Abenteuer von Mehmet, dem türkischen Jungen, begann an einem Tag im Jahr 1684. Es kann auch einige Jahre später gewesen sein, genau weiß das heute niemand mehr. Um ihn herum herrschte Krieg, wurden donnernd Kanonen abgefeuert, flehten Verwundete um Hilfe. Ein Jahr zuvor hatten die Osmanen versucht, Wien zu erobern und waren daran gescheitert, doch der Krieg war damit noch lange nicht beendet. Die Kämpfe müssen grausam und unerbittlich gewesen sein, und die einfachen Menschen in den Dörfern und Städten mussten um ihr Leben bangen, wenn die Armeen über sie hinwegzogen.
    Wie stets im Krieg bedeutete der Ausgang einer Schlacht Erleichterung und Sicherheit für die eine und Verderben für die andere Seite. Auf die türkischen Gefangenen wartete der Tod. Nur die kräftigsten jungen Männer blieben am Leben – auf sie wartete die Sklaverei. So erging es auch Mehmet, der sich im Heer der Osmanen befand.
    Er war einer von vielen Gefangenen, die in den Kriegswirren zusammengetrieben wurden, und als einer der Kräftigsten wurde er von den kaiserlichen Soldaten ausgewählt und mitgenommen. Von da an war Mehmet »Kriegsbeute«, ein Sklave, mit dem man machen konnte, was immer man wollte. Er muss fürchterliche Angst gehabt haben, als er ein letztes Mal zurückblickte und ahnte, dass er die anderen niemals wiedersehen würde. Mehmet wurde verschleppt, und er wusste nicht wohin. Es sollte der Beginn eines neuen Lebens sein.
    Nach einer mehrtägigen, beschwerlichen Reise durch eine ihm unbekannte Welt wurde der Junge schließlich in ein Schloss gebracht. Der Prunk und der Reichtum dort ließen ihn staunen, und vielleicht war er in diesem Moment auch froh, am Leben gelassen und mitgenommen worden zu sein, statt wie die anderen Gefangenen den rachedürstenden Soldaten in die Hände zu fallen.
    Mehmet befand sich nun in Hannover, am Hof des Herzogs und späteren Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg. Er kannte in dieser fremden Welt keinen einzigen Menschen, verstand kein einziges Wort und hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was er dort tun sollte. Am Hof bestaunte man den exotischen türkischen Jungen, und der Herzog und seine Familie freuten sich über ihn, denn sie hatten noch viel mit ihm vor. Mehmet bekam neue Kleider, und man brachte ihm die Grundlagen der deutschen Sprache bei. Er lernte die Menschen am Hof kennen und ihre Gepflogenheiten, wann er sich wie zu benehmen hatte und vor allem, was er zu tun und zu lassen hatte. Mehmet sollte Kammerdiener werden, und dafür musste er noch sehr viel lernen. Für die Adeligen war es damals etwas ganz Besonderes, einen exotischen Diener zu haben, und sie wurden dafür von vielen beneidet und waren umso höher angesehen.
    Als man die Zeit für gekommen hielt, wurde Mehmet getauft. Gefragt wurde er mit Sicherheit nicht, und als Sohn muslimischer Eltern ließ er das wahrscheinlich nicht gerne mit sich machen. Aber er wusste, dass er in dieser neuen Welt mutterseelenallein und auf die anderen angewiesen war, um zu überleben. So wurde er auf den Namen Ludwig Maximilian getauft, seinen türkischen Namen durfte er jedoch behalten. Von nun an hieß er Ludwig Maximilian Mehmet und war ein voll anerkanntes Mitglied der deutschen Gesellschaft am Fürstenhof.
    Mehmet erledigte Botengänge, half in der Küche
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