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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe
Autoren: Daniela Larcher
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billiger Techno-Musik.
    »Was für ein Empfang«, murmelte er. Es schien fast so, als sei die Stadt böse auf ihn, weil er ihr Landau vorgezogen hatte. Nun tat Wien schmollend seinen Unmut über seine Rückkehr kund und zeigte sich von seiner schlechtesten Seite.
    Schon die Fahrt war nicht gerade schön gewesen. Morell hatte sich schlapp und müde gefühlt – er hatte in der Nacht zuvor kaum geschlafen, da tausend Gedanken in seinem Kopf herumgeschwirrt waren: Würde er Lorentz helfen können? Gab es vielleicht doch noch eine Chance für Valerie und ihn? Und würde Bender es schaffen, mit den Pflanzen, Fred und der Arbeit auf dem Revier allein zurechtzukommen?
    Ein alter, betrunkener Sandler, der beißend nach Urin stank und dessen Gesicht von Krankheit und Alkohol gezeichnet war, bettelte auf dem Bahnhofsvorplatz um Geld und holte Morell in die Realität zurück.
    »Hier, mein Freund.« Morell steckte ihm einen Fünfer zu. »Kauf dir was Anständiges zu essen.«
    Der alte Mann, völlig überrascht von der großzügigen Spende, steckte den Schein hastig weg, nickte dem Chefinspektor kurz zu und verschwand dann im Getümmel der Reisenden.
    Menschen wie dieser Obdachlose waren ein weiterer Grund, weshalb Morell das Leben auf dem Land vorzog. Die Großstadt war ein Sammelbecken für gescheiterte Existenzen, und er war einfach nicht dafür geschaffen, sich tagtäglich mit all ihren Schicksalen, ihrem Leid und ihrer Hoffnungslosigkeit auseinanderzusetzen. »Zu viele Menschen, zu wenig Würde«, murmelte er, rief sich ein Taxi heran und stieg ein. »Zum Landeskriminalamt, bitte.« Er lehnte sich zurück, atmete Duftbaumluft ein und vermisste sein Landau, bis das Läuten des Handys ihn aus seinen Gedanken riss.
    »Servus, Otto, hier ist Nina. Bist du schon in Wien? Soll ich dich irgendwo abholen kommen?«
    »Nein, nein, vielen Dank. Ich habe mir ein Taxi genommen und fahre direkt einmal ins Landeskriminalamt. Ich sondiere dort die Lage, spreche dann mit Leander und komme anschließend bei dir vorbei.«
    »Du bist wirklich ein Schatz. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.«
    »Warten wir erst mal ab, ob ich tatsächlich helfen kann. Bis später!« Morell legte auf, starrte aus dem Fenster und betrachtete die grauen Häuserfassaden und die bunten Reklameschilder, die an ihm vorbeizogen.
     
    Es war ein komisches Gefühl, nach so langer Zeit wieder an seinen ehemaligen Arbeitsplatz zurückzukehren. Morell betrachtete das große Gebäude, das ihm so fremd und gleichzeitig so vertraut schien. Viele schlechte Erinnerungen kamen in ihm hoch: All die übel zugerichteten Opfer, die geschlagen, missbraucht und getötet worden waren, und dazu all die trauernden Angehörigen, die vor seinen Augen geschrien und geweint oder einfach nur stumm in einer Ecke gesessen hatten.
    Er betrat das LKA . Die Stimmung hier drinnen war nicht mit der Atmosphäre in der netten, kleinen Inspektion in Landau zu vergleichen. Bender und er hatten einen ruhigen und entspannten Alltag. Hier dagegen lag Hektik in der Luft. Es herrschte ein betriebsames, knisterndes Klima, als wäre die Luft elektrisch aufgeladen. Am Beginn seiner Karriere hatte Morell das noch aufregend und mitreißend gefunden und sich voller Energie und Zuversicht in die Arbeit gestürzt. Wie jung und naiv er damals doch gewesen war – er hatte sich tatsächlich eingebildet, er könne die Welt verändern. Im Laufe der Jahre schwand diese Illusion aber, und er wurde immer frustrierter, bis er eines Tages am Rand einer Depression gestanden hatte. Der Umzug nach Landau war daher genau das Richtige gewesen, und er war ohne Reue gegangen.
    Wer von den alten Kollegen wohl noch hier arbeitete? Einige waren sicher in Pension gegangen oder versetzt worden. Viele würden aber vermutlich noch da sein – wie sie wohl auf sein plötzliches Auftauchen reagieren würden? Morell schielte auf seinen Bauch. Er war verdammt dick geworden. Zwar hatte er sich ein extra weites, schwarzes Sakko angezogen, das ihn dünner erscheinen lassen sollte, aber so wie es aussah, hatte es nichts genutzt.
    »Augen zu und durch«, murmelte er. »Die Meinung der Jungs kann dir völlig wurscht sein. Du bist hier, um Leander zu helfen, und sobald das erledigt ist, kannst du wieder abrauschen.« Er holte tief Luft, zog den Bauch ein und wandte sich an einen jungen Polizisten.
    »Entschuldigung, könnten Sie mir vielleicht sagen, wer den Fall des ermordeten Archäologen betreut?«
    Der Beamte musterte ihn
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