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Zu Grabe

Zu Grabe

Titel: Zu Grabe
Autoren: Daniela Larcher
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kritisch. »Sind Sie ein Zeuge oder ein Angehöriger?«
    »Weder noch. Mein Name ist Chefinspektor Otto Morell, und ich muss dringend mit dem zuständigen Ermittler sprechen.«
    »Morell?« Der Beamte schaute skeptisch. »Und Sie sind Polizist?«
    »Ja, das bin ich.« Morell stellte sich aufrecht hin, zog seinen Bauch noch weiter ein, reckte das Kinn in die Höhe und versuchte kompetent und respekteinflößend zu wirken. »Könnten Sie mir jetzt bitte sagen, wer der leitende Ermittler ist? Ich habe dringend etwas mit ihm zu bereden.«
    Die imposante Statur des Landauer Polizisten hatte anscheinend Eindruck gemacht, denn der junge Beamte überlegte kurz und nickte dann. »Chefinspektor Weber betreut die Ermittlungen«, sagte er.
    Morell musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu fluchen. Ausgerechnet Roman Weber. Das war nicht gut. Sein Exkollege konnte ihn nämlich nicht ausstehen – das hatte er noch nie können. Weber war – im Gegensatz zu Morell – ein trockener Taktiker. Während Morell sich auf seine Intuition verließ und versuchte, durch Gespräche Zugang zu den Menschen zu finden, setzte Weber auf Indizien, Analysen und neueste Technik. Die langjährige Antipathie, die zwischen den beiden geherrscht hatte, fand ihren Höhepunkt, als Morell, der es gar nicht darauf angelegt hatte, die Beförderung bekam, auf die der ehrgeizige Weber so scharf gewesen war.
    Da Weber über das plötzliche Auftauchen seines ehemaligen Rivalen alles andere als erfreut sein würde, überlegte Morell kurz, ob es vielleicht nicht besser wäre, sich heimlich, still und leise wieder aus dem Staub zu machen. »Nein«, ermahnte er sich selbst – er brauchte dringend ein paar interne Informationen, um Lorentz zu helfen, und musste daher zumindest versuchen, mit Weber zu reden.
    »Könnten Sie bitte kurz nachfragen, ob Herr Weber einen Augenblick Zeit für mich hat?«
    Der junge Beamte schaute immer noch ein wenig skeptisch, nahm aber sein Telefon und wählte. »Herr Weber, bei mir hier am Empfang steht ein gewisser Otto Morell und würde Sie gerne sprechen … aha … in Ordnung … ist gut … werde ich machen … auf Wiederhören.« Er legte auf. »Ich soll Sie zu ihm raufschicken. Sein Büro ist …«
    »Ich weiß, wo sich sein Büro befindet. Vielen Dank.« Morell nickte dem Polizisten kurz zu und machte sich mit einem unguten Gefühl im Bauch auf den Weg.
     
    Weber schien – genau wie Morell es geahnt hatte – nicht gerade erfreut über den unerwarteten Besuch seines Exkollegen zu sein. Er starrte den Landauer Chefinspektor mit zusammengekniffenen Augen und zur Seite geneigtem Kopf argwöhnisch an, als dieser den Raum betrat.
    »Otto Morell, was für eine Überraschung. Du bist es wirklich. Ich dachte erst, der junge Kollege am Eingang will mich verarschen.« Er musterte Morell von oben bis unten, und sein misstrauischer Blick blieb kurz an dessen überdimensionalem Bauch und dem Doppelkinnansatz hängen. »Ich hätte dich beinahe nicht mehr wiedererkannt. Du bist ein wenig aus der Form gelaufen, wenn ich das mal so sagen darf.«
    Morell verdrehte die Augen. Weber war noch immer so respektlos und beleidigend wie früher. Er dachte an Lorentz, verkniff sich einen gemeinen Konter und versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Darf ich mich setzen?« Er deutete auf einen Stuhl.
    Weber nickte. »Nachdem du uns damals so fluchtartig verlassen hast, war ich eigentlich davon überzeugt, dich nie wieder zu Gesicht zu bekommen. Was führt dich also her? Ich gehe mal davon aus, dass du nicht gekommen bist, weil du mich so sehr vermisst hast.«
    Morell setzte sich, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete sein Gegenüber. Weber hatte sich kaum verändert: Er hatte noch immer diesen verbissenen Zug um den Mund und unfassbar stechende Augen, die einen schier zu durchbohren schienen. »Da liegst du richtig«, sagte er, ließ seinen Blick durch das Zimmer wandern und war froh, dass er hier nicht mehr arbeiten musste. Sein Büro in Landau war heimelig und bequem. Er hatte seine Lieblingspflanzen mitgenommen, die Pokale, die er beim jährlichen Wettbewerb des Gartenbauvereins gewonnen hatte, aufgestellt und einige schöne Kunstdrucke an die Wände gehängt. Dieser Raum hier wirkte im Gegensatz dazu völlig trist und farblos. Neben dem Schreibtisch und den beiden Stühlen gab es noch einen billigen, abgenutzten Schrank aus dunklem Furnier und ein Metallregal, das voll mit schwarzen Aktenordnern war. Morell
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