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Zorn: Thriller (German Edition)

Zorn: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn: Thriller (German Edition)
Autoren: Arne Dahl
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meinem Leben. Aber nach all den Erlebnissen war mein innerer Detektor hochsensibel, und mir fiel auf, dass unter den Linken eine selektive Blindheit existierte, die manche ohne Vorwarnung befiel. Sie äußerte sich in diffusem Antihumanismus und einer überbordenden Wut. Man wollte sich prügeln, Steine werfen, morden, Völkermord begehen. Mir wurde klar, dass die simple Losung ›links gut, rechts schlecht‹ falsch war. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass es in allen Gruppierungen sowohl wahre Humanisten wie auch Empathiegestörte gibt. Man muss lernen, das Individuum zu sehen, und man muss seinen inneren Detektor aktivieren.«
    Paul Hjelm nickte kurz und betrachtete Arto Söderstedt, der nun ziemlich erschöpft wirkte. Es war offenbar lange her, seit er zuletzt eine derart feurige Verteidigungsrede gehalten hatte.
    »Alle Achtung«, sagte Hjelm schließlich. »Aber das Ganze hat keinen Deut mit Professor Udo Massicotte zu tun.«
    »Alles hat damit zu tun«, entgegnete Söderstedt. »Wirklich alles.«
    »Inwiefern?«
    »Es genügt zu registrieren, wie es bei ihm zu Hause aussah.«
    »Ich kann die Zeichen, die du siehst, offenbar nicht erkennen«, wandte Paul Hjelm ein.
    »Aber du siehst andere?«
    »Ich stelle lediglich fest, dass ein Wissenschaftler, zumal ein Arzt vom Kaliber Massicottes, hätte wissen müssen, dass Erhängen mit einem kurzen Strick zu den qualvollsten Todesarten gehört, die wir kennen. Bei einem Fall aus großer Höhe bricht man sich sofort das Genick oder wird zumindest bewusstlos, bevor man erstickt. Bei geringer Höhe hängt man bei vollem Bewusstsein, bis man erstickt. Ganz langsam.«
    »Obwohl Selbstmord ja eine Selbstbestrafung ist«, warf Arto Söderstedt ein. »Also, wenn man es ernst meint. Wenn es kein Hilferuf ist. Und es sich um echte Selbstverachtung handelt, nach dem Motto: ›Dein Tod wird jetzt ebenso qualvoll sein, wie es dein Leben gewesen ist, du Feigling‹.«
    »Gab es denn wirklich Zeichen für eine derartige Selbstverachtung?«
    »Es fanden sich jedenfalls keine Zeichen, die auf das Gegenteil hingedeutet hätten.«
    »Und wie funktioniert es, wenn wir auf diese Art und Weise die Rollen tauschen?«
    »Wir können uns in die Position des anderen hineinversetzen.«
    Sie betrachteten einander eine Weile lang, als hätten sie tatsächlich die Rollen getauscht. Es war ein eigentümlicher Augenblick.
    »Ich habe allerdings nicht die Rolle getauscht«, erklärte Arto Söderstedt schließlich und leerte sein Glas. »Mein Misstrauen bezüglich der Selbstmordtheorie hat nichts mit dem Charakter des verehrten Professors zu tun, sondern mit seinem Haus und seinem Arbeitsplatz.«
    »Und wenn ich der Selbstmordtheorie misstraue, dann aufgrund des kurzen Stricks«, meinte Paul Hjelm, fügte sich in sein Schicksal und leerte ebenfalls das kleine Calvadosglas. Allerdings sein eigenes.
    »Tust du das denn?«
    »Professor Udo Massicotte war für ein geheimes EU-Projekt tätig, bei dem es um die Wiedererkennung von Terroristen nach einer chiroplastischen Operation geht. Ein hoch qualifizierter Arzt mit Zugang zu einem Regenbogenspektrum an tödlichen Drogen. Da muss es schon gute Gründe geben, dass so ein Mann sich mit einem kurzen Strick erhängt.«
    »Die Sache wird also zu einem Opcop-Fall?«
    »Ich denke schon«, antwortete Hjelm. »Aber uns wird nicht viel Zeit bleiben, um Beweise zu finden. Hilf mir einen Schritt weiter. Sein Haus, sein Arbeitsplatz?«
    Arto Söderstedt seufzte tief und winkte die Bedienung heran. Dann antwortete er: »An beiden Orten herrscht eine ganz gewöhnliche Kombination aus Ordnung und Unordnung. Als wäre Massicotte einfach von seinem Stuhl aufgestanden, hätte seinen Rücken durchgestreckt, einen Schluck Kaffee getrunken und sich dann aus geringer Höhe erhängt. Die Alltäglichkeit der Szene erscheint mir nicht logisch. Er hat etwas Extremes vor. Auch wenn er keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat, hätte er den Ort doch wenigstens auf außergewöhnliche Art verlassen müssen. Ihn entweder in Unordnung bringen oder aufräumen müssen. Zeichen der Verbitterung zeigen müssen. Aber die Räume sind von einer Normalität, die kein Zufall sein kann. Es ist eine Normalität, die geradezu nach Täuschung riecht.«
    Paul Hjelm unterschrieb die Rechnung und holte etwas Trinkgeld aus seiner Jackentasche. Dann sagte er: »Tja, das klingt nach einem schlagenden Beweis.«
    Arto Söderstedt kramte ebenfalls ein wenig Trinkgeld hervor, das er klimpernd auf die
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