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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil
Autoren: Spitzeltango
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Vorderrad aus der Limmat hoben.
    «Martin war stockbesoffen», sagte Hermann. «Das ist nichts Neues.»
    «Besoffen ersoffen», kalauerte Iwan. «Promille einskommavier, sagt die Schmier.» Er trommelte mit seinen schmutzigen Fingern auf den Tisch und wiederholte den dummen Reim ein paarmal. Der Hund sprang hoch, bellte kurz.
    Hermann überflog den Bericht. Das meiste hatte er schon online gelesen. Martin Kunz, Gemeinderat der Grünen, war in der vorletzten Nacht beim Schiffssteg am Limmatquai mit dem Fahrrad in den Fluss gestürzt und ertrunken. Die Polizei ging von einem Unfall aus. Er holte Papier und Tabak hervor, begann sich eine Zigarette zu drehen.
    «Und was weisst du, was nicht in der Zeitung steht?»
    Er liess das Feuerzeug aufflammen, doch da stand schon die Kellnerin am Tisch. «Hier nicht rauchen, gell!»
    «Zu Befehl, Madame.»
    «Trinken wir doch noch einen zusammen», griente Iwan. «Auf den Genossen Martin selig.» Er streckte zwei Finger auf.
    Hermann schüttelte den Kopf. «Für mich ein Mineral. Und diesmal auf deine Rechnung, Alpöhi.»
    «Ah, der Herr ist jetzt beim Blauen Kreuz? Der arme Martin wäre auch gescheiter abstinent geworden.»
    Hermann drehte sich zur Seite, als Iwan seinen Stuhl näher schob. Es mussten Schweine gewesen sein, diesen Sommer, dachte er. Rinder und Schafe stinken anders.
    Der Bärtige dämpfte seine Stimme. «Man hat drei Typen auf Motorrädern gesehen, die Martin verfolgten.»
    «Wer erzählt das?»
    «Ich hab so meine Quellen.»
    «So wie die Partei damals, als sie dich rausgeworfen hat. Aufgrund von Gerüchten.»
    Iwan ging nicht auf die Anspielung ein. «Morgen Nachmittag gibts im Volkshaus eine kleine Trauerfeier für den alten Genossen.»
    «Martin ist tot, was solls.»
    «Er war doch dein Freund, oder nicht?»
    Hermann stand auf. Der Hund schnupperte ihm um die Beine. Ein sauberes Tier, nicht so verkommen wie sein Meister.
    «Platz, Laika.»
    Laika, dachte Hermann. Der Schweinehirt trauert noch immer den alten Zeiten nach. Tauft seine Hündin nach der Laika, die die Russen 1957 ins All schossen und dort krepieren liessen. Und die Tierquälerei als Triumph der sowjetischen Raumfahrt feierten. Laika kauerte neben Iwans verdreckten Bergschuhen auf den Boden, er streichelte ihr den Kopf.
    Die Kellnerin stand bei der Tür, wünschte einen schönen Tag. Trotz Wetter.

    Ohne Gepäck fühlte sich Robert wie befreit. Locker schritt er durch die Halle des Hauptbahnhofs, unter deren Dach der fette blaue Engel mit den goldenen Flügeln schwebte, die Skulptur von Niki de Saint Phalle. Mit dem Koffer schien ihm auch die Sorge um seinen Vortrag oder um ein Hotel abhanden gekommen zu sein. Eine Last war von ihm gefallen, all der Plunder, den ihm Marilyn eingepackt hatte, zweiter Anzug, Hemden, Krawatten, Rasierapparat. Und das Notebook mit dem Vortragstext. Max Frischs amerikanisches Trauma.
    Zürich! Wie lange war er nicht mehr hier gewesen. Vor einem Dutzend Jahren war sein Vater gestorben, der alte und verbitterte Lehrer, der die Welt nicht mehr verstand. Seinen Sohn hatte er schon lange nicht mehr verstanden. Nur kurz war Robert damals in der Stadt gewesen, um den Nachlass zu regeln, eine Sperrgutmulde voll abgewohnter Möbel, ein bescheidenes Sparkonto bei der Kantonalbank. Das wars dann. Der Schutzengel hatte schon damals unterm Dach des Bahnhofs gehangen.
    Er trat beim Taxistand ins Freie, graues Gewölk lastete über der Bahnhofstrasse, es regnete. Der Bankenkönig Alfred Escher, in Bronze erstarrt auf der Säule des Brunnens am Platz, wandte ihm seinen nassen Rücken zu. Am Taxistand warteten Chauffeure mit Baseballmützen neben ihren Autos, eine Hand in der Hosentasche, die andere mit dem Mobiltelefon am Ohr. Afrikaner oder Araber, die ihn mit finsterem Ausdruck musterten. Kein Gepäck, kein Kunde.
    Zürich, eine fremde Stadt. Schon die Anfahrt durch Baustellen bei Oerlikon und im Industriequartier, durch einen Dschungel von Kranen und Gerüsten, hatte ihn irritiert. Ein alles überragender Turm, ein Phallus aus grünem Glas, ragte aus dem Industriequartier in den Himmel. Ein Fremdkörper, schien ihm. Zürich war nicht Chicago. Die S-Bahn hatte kurz an einem Bahnhof angehalten, von dem er noch nie gehört hatte. Beinahe wäre er zu früh ausgestiegen: Hardbrücke.
    Er brauchte einen Schirm. Bei der Tramhaltestelle kam ihm ein dichter Strom von dunkel gekleideten Gestalten entgegen. Feierabend, die Angestellten aus den Banken und Büros drängten sich zum Bahnhof und
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