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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil
Autoren: Spitzeltango
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Kurzfilme gedreht, einen Preis am Festival in Oberhausen bekommen. Ehrlich, ich kann dir das Diplom zeigen.
    Oberhausen, hatte Carmen gesagt. Das klingt wie Entenhausen. Disney? Ich Daisy Duck? Drehen in Hollywood?
    Nix Hollywood, Kind. Tango hat seine Wurzeln in der Arbeiterklasse, in der Emigration, das weisst du doch. Du als Migrantin. Das Heimweh, die Auflehnung gegen die sozialen Verhältnisse, die Melancholie. Du kennst doch den Song von Carlos Gardel, Mi noche triste … Du, Carmen, du bist der Star. Kind der Villas Miserias von Buenos Aires.
    Er schaltete sein Smartphone ein, steckte sich einen Hörer ins Ohr. Astor Piazzolla, «Libertango». Mit dem Zeigefinger tippte er den Takt auf dem Tisch.
    Carmen hauste in einem Verschlag im Estrich, zahlte keine Miete. Dafür hatte sie ihn in ihren Tangoclub mitgeschleppt, wo sie unterrichtete. Oder ehrlich gesagt, einen Tangolehrer und Obermacho aus dem Zürcher Oberland als Partnerin beim Unterricht unterstützte. Aber nun war sie weg. Wieder mal. Und er hockte im Loch, ganz ganz tief. Zu allem Unglück kam auch noch das Dossier zurück, Shit happens. Zürich, die ganz grosse Scheisse.
    «Ich hau wieder ab nach Berlin», brabbelte er vor sich hin. Wedelte mit der Zeitung Krümel vom Tisch und stiess dabei das Teeglas um.
    «Ach, ich Trottel …»
    Die Kellnerin eilte herbei, tupfte mit einer Serviette den Tee auf. «Schon gut. Ich bring dir einen neuen.»
    Hermann zog den Hörer aus dem Ohr, faltete die Hände, stützte das Kinn drauf und schloss die Augen. Ich hab noch einen Koffer in Berlin. Aber dahin wollte Carmen nicht, auf keinen Fall. Entre los alemanes, no gracias. Zu kalt, zu unfreundlich, zu grau.
    Er war kurz eingenickt, als ihn etwas Feuchtes ans Bein stupfte. Er langte hinab, fühlte eine Hundeschnauze, eine raue Zunge, die seinen Handrücken leckte.
    «Was treibst du hier im Ausland?»
    «Doofkopf», brummte Hermann. «Lass mich in Ruhe.»
    Ihm gegenüber liess sich ein Typ mit grauer Zottelmähne und einem verfilzten Bart nieder. Iwan, ein alter Bekannter. Unter dem Tisch schnüffelte sein schwarz-weisser Border Collie herum.
    «Ein Zürcher im ‹Aargauerhof›, gehts noch?»
    «Familientradition.»
    Der Bärtige winkte der Kellnerin, die am Büfett mit den fülligen Damen plauderte. «Ein Tschumpeli Maienfelder bitte.»
    Dann deutete er auf das Teeglas. «Bist du krank?»
    Hermann gab keine Antwort, blätterte durch die Zeitung. Die Kellnerin brachte den Tee und den Wein auf einem Tablett. Iwan hob sein Glas, zwinkerte Hermann zu. «Zum Wohl. Und danke schön.»
    «Du glaubst ja wohl nicht, dass ich dich einlade, Iwan?»
    «Ach, Hermi. Seit die Berliner Mauer gefallen ist, glauben wir beide doch nichts mehr.»
    «Stimmt, ich war dabei, als die Ossis das Ding niederhackten. Da hats bei mir Klick gemacht.» Er schüttete zwei Briefchen Zucker in den Tee.
    Iwan nahm einen tüchtigen Schluck, atmete tief durch. «Du bist doch Hausbesitzer, ein Kapitalist. Und ich ein armer alter Prolet.»
    «Meine Ruine gehört der Bank. Schulden bis unters Dach, und das tropft wie ein Sieb.»
    «Dort oben wohnt doch deine Schöne, oder nicht?»
    «Meine Untermieterin meinst du?»
    «Dem kann man auch so sagen.» Iwan kippte den Rest, dann hob er das leere Glas, rief mit lauter Stimme: «Noch ein Tschumpeli. Auf den real nicht mehr existierenden Sozialismus.»
    Iwan war in jungen Jahren Mechaniker bei Escher Wyss und ein fleissiger Parteisoldat der Kommunisten gewesen, bis man ihn ausgeschlossen hatte. Revisionist, Polizeispitzel oder Trotzkist, irgendwas. Kein Mensch wusste, wie er wirklich hiess, doch an jeder Versammlung, an jeder Gewerkschaftssitzung oder Kundgebung stand er auf und hielt eine wirre Brandrede. Man nannte ihn deshalb auch «Iwan den Schrecklichen». Jetzt hütete er im Sommer auf einer Alp im Bündnerland Schafe oder Rinder und roch auch so.
    «Weisst du das Neuste schon? Wegen dem Martin?» Iwan drehte sich die Bartspitze um den Finger, beugte sich vor.
    «Ein tragischer Fall. Friede seiner Asche.»
    Die Kellnerin trat an den Tisch, hielt sich die Nase zu und legte einen Kassenzettel auf den Tisch. «Wer bezahlt?»
    «Mein guter Freund da.» Iwan schob den Zettel zu Hermann hinüber.
    Der beherrschte sich, fand in der Hosentasche eine zerknitterte Note. «Stimmt so.»
    Iwan zog den «Tages-Anzeiger» zu sich heran, schlug den Lokalbund auf und klopfte mit dem Knöchel auf einen Bericht. Das Bild zeigte zwei Taucher, die ein Velo mit verbogenem
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