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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil
Autoren: Spitzeltango
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bei den Verkehrsbetrieben, sie Krankenschwester im Triemlispital, Mitglied der Evangelischen Partei, Schulpflegerin, einmal kurz als Gemeinderätin nachgerutscht, sorgende Mutter, ein Kind. René war ihr Prinz gewesen.
    Einmal hatte er seinen Sohn besucht nach ihrem Tod, in einem der modernen Wohnblocks mit den grossen Fenstern in Neu-Oerlikon. Ein gesichtsloser Bau, alles clean und leer. Die Möbel standen herum wie im Schaufenster, kein Stäubchen auf dem Parkett, keine Fliege, die an den Scheiben surrte. Alle paar Tage kam eine nigerianische Putzfrau, eine Illegale. Renés Freundin war eine magersüchtige Schaufensterpuppe mit einem dieser modischen Namen, Sabrina oder Samantha. Sie hatte ihn so leise dahingehaucht, dass er ihn nicht richtig verstand, und dann gleich wieder auf ihrem Handy herumgetippt. Bald hatte sie sich in Luft aufgelöst.
    Hat die was gegen mich?, hatte er gefragt.
    Schau dich doch an, hatte René gesagt. Kommst daher wie ein Penner. Wenn Mama dich sehen würde, mein Gott.
    Ihr Gott, ja, hatte er ausgerufen. Euer Gott, aber nicht meiner.
    Und noch was, Papa, tut mir leid, das zu sagen. Du stinkst. Du riechst nach Alkohol, nach Tabak, nach Pisse.
    Und du stinkst nach Geld. Ein arrogantes Arschloch bist du geworden. Wenn Mama dich sehen würde, mein Gott, äffte er René nach, der aufstand, mit dem Kopf gegen die Tür wies.
    Draussen hatte er das Schild am Briefkasten gesehen. «dr. rené a. schwyter infcon gmbh». Daneben den Namen der Sabrina oder Samantha von Soundso. Ein Unternehmer, ein Kleingewerbler und Möchtegern-Kapitalist, der nach Rasierwasser duftete, eine Rolex trug und adelige Schaufensterpuppen vögelte. Schon Alice hatte es aufgegeben, seine Beziehungen, wie er das nannte, zu zählen. Ihr Prinz durfte sich alles erlauben. Ihn, Pippo, hätte sie erwürgt, hätte sie von seinen Affären mit Kolleginnen erfahren. Vielleicht hatte sie ja alles gewusst, aber sie hatte geschwiegen, der Kirche und dem Frieden zuliebe.
    Pippo angelte mit einem Fuss einen Schemel unter dem Küchentisch hervor, setzte sich, starrte auf die klebrigen Ringe von Flaschen und Gläsern, schob Brotkrümel mit einem Finger zu einem Häufchen.
    Dann riss er sich zusammen, stand auf, schaltete die Kaffeemaschine ein. Er musste raus aus diesem Loch. Bald schon würde das Häuschen abgerissen, die Genossenschaft stellte gesichtslose Plattenbauten hin wie die Kapitalisten in Neu-Oerlikon auf dem Areal der einstigen Lokomotivenfabrik und der Waffenschmiede. Er hatte sich gegen den Abriss gewehrt, hatte Unterschriften gesammelt wie einst. Das heisst, er hatte es versucht. An jeder zweiten Tür hatte ihm eine Schwarze oder Braune oder Gelbe einen Spalt geöffnet, hatte ihn angelächelt und den Kopf geschüttelt. Nix verstehn, nix Interesse, nix Krach mit Verwaltung, weisst du. Er war kein Rassist, aber irgendwie war die Welt aus den Fugen. Nur der Schrebergarten war eine kleine Insel geblieben, aber auch dort regierten inzwischen Türken und Albaner. Die meisten waren ja anständige Kerle, arme Teufel, Strandgut der Globalisierung, der Politik des internationalen Kapitals.
    Pippo sass auf dem Klo, als das Telefon schrillte. Rasch putzte er sich den Hintern, stolperte durch den Korridor, die Hosen als Fussfesseln auf den Pantoffeln.
    «Hallo Pippo, hier Hermi.»
    «Hermi?»
    «Du erinnerst dich doch.»
    Hermanns Stimme war nicht zu verwechseln, er krächzte wie ein erkälteter Rabe. «Was willst du?»
    Hermann räusperte sich. «Martin Kunz ist tot.»
    «Ich kann Zeitung lesen, Mann.»
    «Es war kein Unfall.»
    «Na und? Martin war besoffen.»
    «Schlägertypen haben ihn verfolgt, heisst es.»
    «Heldentod auf dem Velo. Passt doch für einen Grünen.»
    «Hast du vergessen, was er für uns getan hat, Pippo?»
    «Das war einmal. Ein windiger Opportunist ist er. Kommunist, Sozi, Grüner, was immer angesagt war.»
    «Er hat uns verteidigt, damals. Hat sich für uns eingesetzt.»
    «Für euch. Robert und dich hat er rausgehauen. Ich war im Knast, als einziger.»
    «Er hat getan, was er konnte.»
    «Damals vielleicht. Jetzt hockt er in der Baukommission auf seinem Arsch, zockt Sitzungsgeld und rührt keinen Finger gegen den Abriss von günstigen Wohnungen.»
    «Er hat doch keinen Stich gegen die Bürgerlichen.»
    «Also, warum rufst du an?»
    «Heute ist eine Abdankungsfeier.»
    «Ohne mich.»
    «Du kannst es dir ja überlegen. Volkshaus, Blauer Saal, vierzehn Uhr.»
    Pippo legte den Hörer hin, zog die Hosen hoch. Hörte
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