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Zoë

Titel: Zoë
Autoren: C Carmichael
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eigenen Beerdigung zu spät kommt, aber was will man machen, bei diesem Schnee ist keiner pünktlich.
    Doch nun bog ein Wagen nach dem anderen in die Einfahrt. Aus einem stieg die alte Frau aus, die dem Kater eine Nadel ins Hinterteil gestochen hatte, und ging zur Beifahrertür, um dem alten Mann mit dem Stock zu helfen.
    Als Nächster fuhr der Mann vor, neben ihm saß der Helfer, und das Herz des Katers tat einen Satz, als er sah, wie das Mädchen heraussprang und auf ihn zurannte. Er ließ zu, dass sie ihn hochhob und seine Beine in der Luft hingen. Sie küsste ihn zwischen die Augen, dann setzte sie ihn sanft wieder ab. Hast du Schwesterchen gesehen?, fragte sie dann die alte Frau.
    Die nickte. Jeden Tag. Sie mag den Salzleckstein, den ich für sie besorgt habe. Hast du Nachricht von deinem Bruder?
    Das Mädchen schüttelte den Kopf.
    Der Mann ging um seinen Wagen herum und öffnete dem Helfer die Tür. Der Helfer sah zusammengesunken aus, zerknittert wie trockenes Laub. Die kleine Gruppe sammelte sich gerade um ihn, als ein Auto mit Blaulicht vorfuhr. Mehr Menschen stiegen aus, vornund hinten. Man umarmte sich, redete. Der Mann und das Mädchen sprachen miteinander, es gab noch Dinge zu entscheiden.
    Sollen wir dann mal?, fragte der Mann.
    In einer langsamen, stummen Prozession gingen sie über das Schneefeld. Die Wolken am bedeckten Himmel wurden dichter, sie schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie regnen oder schneien wollten. Eine plötzliche Windböe setzte die frei beweglichen Teile an den Sachen, die der Mann gebaut hatte, in Bewegung, und das quietschende oder knarrende Geräusch, das manche dabei machten, erinnerte an Gesang. Der Mann ging neben seinem Helfer her, der das zugedeckte Gefäß fest in seinen Armen hielt. Die anderen folgten in Zweierreihen, ganz am Schluss gingen der Kater und das Mädchen.
    Dicht gedrängt standen sie schließlich im Steingarten und bildeten einen Kreis um eine kleine, exakt quadratisch ausgehobene Grube. Liebevoll setzte der Helfer das Gefäß hinein. Das Mädchen öffnete das Buch, in das er sie so oft irgendetwas hineinschreiben sah, und holte tief Luft, bevor sie mit leiser Stimme sprach. Von Zeit zu Zeit brach sie ab, wischte sich über die nassen Wangen, blätterte um. Als auf einmal alle Gesichter nass wurden, blinzelte der Kater zum grauen Himmel hoch: Es fing an zu schneien.

21
    Die Trauerfeier für Bessie war wunderschön, die Kirche des Padre über und über mit frischen Blumen geschmückt, obwohl doch Winter war, und zur anschließenden Beisetzung im Steingarten oben beim Haus kamen alle mit, die ich liebte. Wunderbarerweise waren das ziemlich viele, dabei hatte es doch wenige Monate zuvor keinen einzigen solchen Menschen gegeben. Nur Bessie selbst und Wil fehlten.
    Das musste ich meinem Bruder lassen: Wenn er abhauen wollte, dann verschwand er wie ein Traum im Tageslicht. Nirgends war auch nur die kleinste Spur von ihm zu entdecken. Die Polizei suchte nach ihm auf Highways und auf Nebenstraßen, normale Bürger, die es auf das gemeine Kopfgeld des Bürgermeisters abgesehen hatten, durchkämmten nicht nur Kleinstädte, sondern auch die Felder, Wälder und Wiesen dazwischen. Aber Wil blieb unsichtbar.
    Helen und Franklin kamen mit dem Flugzeug aus New York, und der Sheriff und seine Frau, die Weihnachten bei ihren Töchtern gefeiert hatten, schafften es gerade noch rechtzeitig zum Gottesdienst. Maud trug tatsächlich ein Kleid. Wir alle saßen zusammen mit Fred und Freds Cousine Henrietta in den vorderen Reihen, die für die Familie reserviert waren. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt – ein unglaublicher Andrang, wenn man bedachte, dass Bessie seit Jahren kaum noch das Haus verlassen hatte.
    Sie hatte Fred und dem Padre strikte Anweisungen für die Trauerfeier gegeben und damit gedroht, aus dem Grabzurückzukommen, falls sie sich nicht daran hielten. Anstelle der düsteren Messen, die ich mit Mannys Mutter besucht hatte, gab es in Bessies Trauerfeier fröhliche Musik und viel zu lachen. Der Padre breitete einen von Bessies Quilts über den Altar und sagte, in Gestalt von Bessie Parsons Montgomery sei Gott wieder über diese Erde geschritten, so sicher wie Christus zweitausend Jahre zuvor. Viele der Anwesenden nickten mit dem Kopf, als er das sagte, und sagten Amen, und mir schien Gott eine Spur freundlicher, wenn auch nur eine Spur.
    Ich ging ans Lesepult, stellte mich auf eine Messweinkiste und las die Teile aus meinen Memoiren, die
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