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Zitronentagetes

Zitronentagetes

Titel: Zitronentagetes
Autoren: Britta Orlowski
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Der Vermieter hatte die Immobilie verkauft und der neue Besitzer wollte das Haus abreißen lassen und das Grundstück anderweitig nutzen.
    Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Was denn noch? Hatte sie nicht schon genug Schwierigkeiten? Ein seltener Anflug von Selbstmitleid ermächtigte sich ihrer. Flo wünschte verzweifelt, die Zeit zurückdrehen zu können – bis zu einem bestimmten Punkt. Leider war ihr nicht klar, bis zu welchem. Der Druck in ihrer Brust verstärkte sich. In den vergangenen Wochen waren die Hiobsbotschaften tröpfchenweise in ihr Gehirn gesickert – jetzt schwappte eine Welle der Resignation gnadenlos über sie hinweg. Und sie war gepaart mit Mutlosigkeit, Angst und unsäglicher Traurigkeit.
    Immer öfter überfiel Flo eine Sehnsucht. Egal, wohin sie ging, egal, welche Richtung sie einschlug – die Sehnsucht war schon vor ihr dort. Sehnsucht – wonach? Nach der glücklichen Kindheit in einem kleinen Dorf an der Havel, nach Good old Germany? Nach der Sicherheit einer Ehe mit Val Usher? Nach einem Ort, der ihr Zuhause sein konnte? Nach der Familie, die sie leichtsinnigerweise zurückgelassen hatte und die sie nun schon seit über zehn Jahren nicht mehr in die Arme schließen konnte und vermisste? Der Kloß in ihrem Hals wuchs an. Flo glaubte beinahe, an dem Schluchzen in ihrer Brust ersticken zu müssen. Doch Tränen waren auch jetzt unangebracht. Sie würden ihr nicht weiterhelfen, daher durfte sie ihnen nicht nachgeben. Im Gegenteil, sie machten alles nur noch schlimmer.
    Sie sah auf die Uhr. In einer Stunde musste sie im Schönheitssalon sein. Eigentlich mochte sie nachmittags nicht arbeiten gehen, aber der Job im Salon bei Bonny Sue war nun einmal ihr einziger zurzeit, da konnte sie sich irgendwelche Extrawünsche klemmen. Könnte sie sich nur besser auf Kevin verlassen. Mit seinen elf Jahren kam er langsam in die Pubertät. Erledigte er heute seine Hausaufgaben auch gewissenhaft? Seufzend verstaute sie ihre Einkäufe in dem kleinen Vorratsregal und faltete die Tüten zusammen. Sie stellte eine Pfanne auf den Herd, ließ Fett aus und schnitt die übrig gebliebenen Kartoffeln vom Vortag klein. Dann säbelte sie Wurstreste in kleine Würfel, ebenso eine Zwiebel und gab alles in das heiße Fett. Flo würzte kräftig mit Salz, Pfeffer, Kümmel und Majoran, schlug noch ein Ei darüber und ließ alles unter einem Deckel stocken. Beim Abschneiden frischer Kräuter aus dem Beet hinter dem Haus überkam sie erneut Traurigkeit. Hastig wischte sie die Träne, die sich bereits einen Weg bahnte, von ihrer Wange. Ihre Bewegung schreckte einen Vogel auf. Im selben Augenblick landete ein dicker dunkelblau schimmernder Käfer neben ihren Füßen. Hatte der Vogel vor Schreck sein Opfer fallen lassen? »Hallo Kumpel.« Flo schnupperte an der Petersilie. »Scheint so, als hätte ich dir soeben das Leben gerettet.« Na ja, wenigstens für einen von uns ist dieser Tag nicht total verkackt.
     
    *
     
    Nach Amys kurzem Läuten wurde sofort die Tür geöffnet.
    »Komm rein!« Jenny Cumberland, die zweite und sehr viel jüngere Ehefrau von Marcs Vater, zog sie rasch an sich und ging voraus in die Küche. »Ich habe bereits Kaffee aufgesetzt. Am besten, wir setzen uns in den Garten. Wer weiß, wie lange das Wetter noch so schön ist.«
    Die dreijährige Tochter ihrer Freundin saß im Schatten in ihrem Buddelkasten und beschäftigte sich mit feinen Konditoreien aus Sand.
    »Hallo Rosie.« Amy streckte eine Hand aus. Die Kleine berührte sie flüchtig und grinste.
    Sie hatte Marcs Augen, durchzuckte es Amy nicht zum ersten Mal. So ähnlich könnte auch eines ihrer gemeinsamen Kinder aussehen. Sie sollte nicht mehr davon ausgehen, dass Marc sie jemals heiratete. Inzwischen war sie sich auch längst nicht mehr sicher, ob sie das überhaupt noch wollte. Es fühlte sich einfach nicht mehr richtig an. Warum taten sie beide sich nur so schwer, konsequente Entscheidungen zu treffen? Es war bequemer so. Man wusste nie, was danach kam, und vielleicht erschreckte sie der Gedanke deshalb.
    »Miss Rosie hat keine Zeit für belanglose Konversation«, stellte deren Mutter fröhlich fest.
    »Ja, ist mir auch aufgefallen. Und was gibt es bei dir Neues?«
    »Ich habe heute einen Brief von George bekommen.«
    Amy warf ihrer Freundin einen raschen Blick zu. »Hartnäckig ist dein Mann ja, das muss man ihm lassen. Hat er das tatsächlich jeden Monat durchgezogen?«
    Jenny nickte. »Aber dieses Mal schreibt er, dass die
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