Zitronentagetes
Jeder im Raum begriff, dass die Anrufe, der Einbruch und auch der Überfall auf die Sekretärin irgendwie zusammenhingen.
»Gehen Sie, Mr. Cumberland. Ich kümmere mich darum.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer …«
»Gehen Sie jetzt.«
Flo ergriff Georges Hand und zog ihn mit sich. Da war ein Gedanke, der die ganze Zeit im Hintergrund lauerte. Er ließ sich einfach nicht formulieren.
George wollte sie so schnell wie möglich loswerden.
»Du tust doch nichts Unüberlegtes?«, merkte sie vorsichtig an.
»Bestimmt nicht. Mach dir keine Sorgen.«
Hach, ein schöner Satz, wenn er nicht aus dem Munde einer der Cumberland-Männer käme. »Bitte«, sagte sie leise.
Lächelnd berührte George ihre Hand. Na schön, sie konnte hier nichts mehr tun. Daher bat sie darum, an der nächsten Busstation abgesetzt zu werden.
»Waren wir nicht verabredet, Birdie?« Marcs Stimme klang vorwurfsvoll.
»Mir ist etwas dazwischengekommen.« Das war nicht mal gelogen. Trotzdem wich sie seinem Blick aus und bückte sich nach der Gießkanne. Ihre Geranien hatten immer Durst. »Hallo Mädels«, begrüßte sie die Pflanzen.
Marc verdrehte die Augen. »Man könnte beispielsweise anrufen.«
Offenbar beschäftigte ihn ihr Fernbleiben sehr. Kurz, sehr kurz meldete sich ihr schlechtes Gewissen, denn sie erinnerte sich wieder … »Könnte.«
»Aber?«
»Ich habe deinen Vater zu Masterson begleitet.«
»Ach so? Nun, war bestimmt nicht deine schlechteste Idee. Danke.«
Dass er sich bedankte, war ihr unangenehm. Flo knipste das Verwelkte von den Blüten. Sie fühlte sich mies, wütend, erschöpft. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Beschäftigung half. Im Garten gab es reichlich zu tun. Sie hatte den alten Handwagen mit Tausendschönchen und gerüschten Stiefmütterchen bepflanzt und freute sich allein über den schönen Anblick. Flo liebte Blumen, die logen nie. Pflanzen spielten ihr auch nichts vor. Für ein wenig Pflege wurde man reich belohnt.
»Wie geht’s Rafe?« Marc war hinter sie getreten.
»Nicht besonders gut. Er und seine Vorzimmerdame hatten was miteinander.«
»O Gott.«
»Aber er scheint etwas zu ahnen in unserem Fall. Ich bin mir ziemlich sicher.«
»Du meinst, er kennt den Täter?«
»Möglich.«
»Soll ich dir noch ein paar Gießkannen tragen?«
»Wäre nett.« Es fiel ihr leichter als gedacht, bei dem belanglosen Geplänkel mitzumachen.
»Für dich tue ich doch alles, mein Herz. Immerhin sind wir Freunde.«
Genau das war ihr Problem. Sie waren lediglich Freunde. Rasch blinzelte sie die aufsteigenden Tränen fort.
*
George wollte ein für alle Mal reinen Tisch machen. Er ließ sich nicht mehr einfach so von Jenny und Rosie fernhalten. Es war an der Zeit, seiner Frau klarzumachen, wie sehr er sie liebte. Er wollte wieder mit ihr zusammenleben, sich über die täglichen Sorgen des Alltags austauschen. Vor allem wollte er auch seine Tochter aufwachsen sehen und sich um sie kümmern. In seinem Alter hatte er für das Kind viel mehr Zeit als damals, als Marc klein gewesen war. Das Leben konnte so schnell vorüber sein. Niemand wusste, wie viel Zeit er zur Verfügung hatte. Heute Nacht in der Pension hatte er sich gute Argumente zurechtgelegt. Er hoffte, gleich darauf zurückgreifen zu können. Es war wichtig, die richtigen Worte zu finden, insbesondere bei Frauen. Er fuhr den Wagen in die Garage. Vom Fenster aus beobachtete Jenny ihn wahrscheinlich längst. Seine Absicht, zu bleiben, signalisierte er, indem er die Garage benutzte. George ging um den Wagen herum und öffnete die Kofferraumklappe. Ein Geräusch gab es nicht, lediglich eine beinahe unmerkliche Bewegung in den Augenwinkeln. Plötzlich drückte jemand den Lauf einer Waffe gegen seinen Hinterkopf. Das Klicken hallte unnatürlich laut in seinem Kopf wider. George erstarrte.
»Sie tun recht daran, sich nicht umzudrehen.«
Die Stimme klang viel jünger als am Telefon.
»Ich habe Sie gewarnt, meine Geduld nicht überzustrapazieren. Sie lassen mir keine andere Wahl mehr.«
»Sie wollen Geld.«
»Richtig.«
»Und wenn Sie es bekommen haben, lassen Sie mich und meine Familie ein für alle Mal in Frieden?« Es kostete George viel Kraft, Ruhe zu bewahren. Wenn der Mann durchdrehte und die Nerven verlor, dann … Mit Schaudern zwang er sich, den Gedanken nicht weiter zu verfolgen.
»Los, rein ins Haus!«
Der Druck an seinem Hinterkopf verstärkte sich. »Aber da habe ich kein Geld. Wir sollten zur Bank fahren.«
»Für wie blöd halten
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