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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10
Autoren: Ake Edwardson
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Reichweite.
    Winter deutete auf seinen Mercedes. »Im Auto sitzt eine Frau, die dahinten im Wald von einem Mann verfolgt wurde. Bei der Person handelt es sich möglicherweise um einen Mörder, der vier Menschen auf dem Gewissen hat. Hinter dem ich den ganzen Herbst her war. Den ich heute Nacht vielleicht gefasst hätte, wenn Sie nicht gekommen wären. Ich bezweifle sehr, dass er jetzt noch im Wald ist.«
    »Wie zum Teufel hätten wir das wissen sollen, Winter?«, fragte der ältere Polizist.
    »Außerdem hatte ich es eilig«, fügte Winter hinzu.
    Der Polizist schüttelte den Kopf, als wollte er sagen, dass er und sein Kollege fast alles richtig gemacht hatten. Dass sie der Sicherheit Vorrang gegeben hatten. Dass gerade Winter wissen musste, dass Polizisten heutzutage eher die Waffe zogen als früher. Dass das Leben gefährlicher geworden war als früher.
    »Sollen wir in den Wald gehen und den Täter suchen?«, fragte der Polizist.
    Winter schaute zu seinem Auto. Nina Lorrinders Silhouette zeichnete sich deutlich ab, wie aus Karton geschnitten.
    »Ja. Aber zuerst kümmert euch um die Frau und bringt sie hin, wohin sie will.«
    Er stand an der Einmündung des Fußweges und schaute den Rücklichtern der Funkstreife nach, die zum Wavrinskys Plats hinauffuhr.
    Nina Lorrinder war endlich auf dem Weg zu ihrer Freundin.
    Ein Streifenwagen war unterwegs zu ihm, aber Winter bezweifelte, dass sie noch etwas oder jemanden finden würden. Er hatte den jüngeren Polizisten gefragt, wie er sich fühle. Ihm gehe es prima, hatte der geantwortet. Wenn Sie mich anzeigen wollen, bitte sehr, hatte Winter gesagt. Ich hab gedacht, Sie wollen mich anzeigen, hatte der Polizist erwidert. Besuchen Sie mich, wenn ich nach meiner Dienstbefreiung zurück bin. Nach dem ersten Juni.
    Er ging zu seinem Auto. Seit Beginn des Dramas war kein Mensch aufgetaucht, als wären sie ganz allein auf der Bühne gewesen. Aber die Vorstellung war vorbei, und rundum blieb es genauso ruhig wie zuvor.
    Winter setzte sich ins Auto, nahm sein Handy, tippte eine Nummer ein und wartete. Er hörte den Anrufbeantworter bis zum Pfeifton ab, dann sagte er: »Jonas, hier ist Erik Winter. Ich möchte, dass Sie mich sofort anrufen. Falls Sie meine Nummer vergessen haben, nenne ich sie Ihnen jetzt noch mal.« Er gab die Ziffern an und auch die Uhrzeit. »Außerdem möchte ich, dass Sie sich unverzüglich beim nächsten Polizeirevier melden. Oder beim Präsidium. Hoffentlich erreicht Sie diese Nachricht. Und hoffentlich verstehen Sie, Jonas, dass ich Ihnen helfen möchte. Ich weiß, was heute Nacht in Guldheden passiert ist. Sie können bleiben, wo Sie sind, aber rufen Sie das Polizeipräsidium an. Oder rufen Sie mich an. Es ist jetzt vorbei, Jonas.«
    Ob der letzte Satz stimmte, wusste er nicht, aber er klang gut. Es klang, als wisse er alles.
    Winter legte den Rückwärtsgang ein und setzte über die Gleise. Dann schaltete er in den ersten Gang und brauste los.
    Das Haus war eins von fünfen, die zur gleichen Zeit errichtet worden waren, alle in der gleichen Bauweise. Dieses war das zweite von links, es lag im Schatten der Straßenbeleuchtung und war das dunkelste von allen. Bis hierher reichte das Mondlicht nicht.
    Winter hatte das Auto auf dem schmalen Parkplatz abgestellt und den schmalen Fußweg genommen. Hier gab es keine Schaukeln, überhaupt keine Spielgeräte. Keine Kinder.
    Er schloss die Tür mit dem Schlüssel auf, den sie seit dem Mord hatten.
    Im Flur war es zunächst dunkel, wurde aber rasch hell. Es roch immer noch nach Malerfarbe und Tapetenkleister. Ein harmloser Geruch, der niemandem schaden konnte. Er stand für Zukunft, für Veränderung. Er hielt sich lange. Winter hatte seine Wohnung in Etappen renoviert, und die Gerüche waren wie ein Kalender. Erinnerungen hingen oft mit Gerüchen zusammen.
    Langsam wanderte er durch die Wohnung und machte Licht an, wo es Licht gab. Künstliches Licht konnte vortäuschen, dass es Tag sei, aber für Winter verstärkte es nur das Gefühl, es sei Nacht.
    Er war müde. Gleichzeitig spürte er ein Kribbeln im Bauch. Vielleicht hatte das etwas zu bedeuten.
    Er stand in Paulas Schlafzimmer. Die graue Wand hinter dem Bett war wie ein Fachwerkmuster übersät von weißen Strichen, die mit einem breiten Pinsel gezogen worden waren. Da, Spuren eines Spachtels. Die Grundierung der Wände war noch nicht abgeschlossen. Winter fragte sich, wie die Tapete wohl gemustert sein würde. Plötzlich interessierte es ihn.

37
    Winter
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