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Ziemlich verletzlich, ziemlich stark: Wege zu einer solidarischen Gesellschaft (German Edition)

Ziemlich verletzlich, ziemlich stark: Wege zu einer solidarischen Gesellschaft (German Edition)

Titel: Ziemlich verletzlich, ziemlich stark: Wege zu einer solidarischen Gesellschaft (German Edition)
Autoren: Jean Vanier , Philippe Pozzo di Borgo , de Laurent Cherisey
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Gesamtbevölkerung, so ist in Deutschland etwa jeder zehnte Einwohner behindert. 7,1 Millionen davon gelten als schwerbehindert.
Die Zahl der Menschen mit geistiger Behinderung liegt in Deutschland bei rund 500.000. Etwa 1,4 Millionen Deutsche sind von einer Demenzerkrankung betroffen.
     
    Überall im öffentlichen Raum gibt es also »Unberührbare«.
     
    Die Behinderung ist jedoch ein komplexes Thema mit vielen Gesichtern. Neben körperlichen und mentalen Beeinträchtigungen führen unter anderem schlechte Wohnverhältnisse, 3 Arbeitslosigkeit und emotionale oder soziale Einsamkeit 4 zum Ausschluss aus der Gesellschaft.
     
In Deutschland wurden im Laufe des Jahres 2007 bundesweit rund 176.000 Menschen mit Behinderung in Heimen betreut. Ambulante Unterstützung beim Wohnen in einer eigenen Wohnung oder in Wohngemeinschaften erhielten rund 93.000 Menschen mit Behinderung. Insbesondere für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf kann von einer selbstbestimmten Wahl der Wohnformen und einer gleichberechtigten Teilhabe an subjektiv bedeutsamen Lebensbereichen keine Rede sein. Und das trotz der Gleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder und trotz der im Sozialgesetzbuch IX formulierten Zielperspektiven »Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft«. Die Wohnsituation erschwert die Integration von Menschen mit Behinderung in die Gemeinde.
Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung liegt einige Prozentpunkte höher als die der Gesamtbevölkerung. 2005 lag die Quote unter schwerbehinderten Menschen bei knapp 17 Prozent, 2009 waren es unter 15 Prozent. Im März 2011 gab es in Deutschland 10 Prozent weniger Arbeitslose als ein Jahr zuvor. Bei schwerbehinderten Menschen hingegen stieg die Arbeitslosenquote um 4,9 Prozent. Der Aufschwung kam bei Arbeitnehmern mit Behinderung nicht an. Knapp 173.000 Menschen mit einer Behinderung sind arbeitslos. Darüber hinaus bleibt 280.000 Menschen nur die Möglichkeit, in Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu arbeiten, da ihnen der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verschlossen ist.
     
    Krankheiten – seien es die eigenen oder die unserer Nächsten – können uns von einem Tag auf den anderen auf eine harte Probe stellen. Denn wie Dr. Knock sagt, die Hauptperson des Theaterstücks Knock oder der Triumph der Medizin von Jules Romain aus dem Jahr 1923: Gesunde Menschen sind nur Kranke, die von ihrem wahren Zustand nichts wissen!
    Jeden Moment drohen Unfälle unser Leben zu verändern und uns in Ausgestoßene, von der Gesellschaft ausgeschlossene Menschen, zu verwandeln.
     
    Wer kann sich also damit brüsten, kein Unberührbarer zu sein?
     
    Viele Zuschauer haben beim Abspann von Ziemlich beste Freunde spontan geklatscht. Dieser Applaus galt sicher auch der Qualität der Produktion und der Leistung der Schauspieler. Doch war er nicht in erster Linie Ausdruck unseres intuitiven Wissens, dass wir alle jederzeit Unberührbare werden könnten? Jeden von uns könnte es treffen, und wie die beiden Hauptdarsteller im Film würden wir unvermittelt in eine Form von Behinderung abgleiten, so dass wir nicht mehr in der Lage wären, die sozialen und wirtschaftlichen Normen zu erfüllen.
    Kritiker des Films haben behauptet, er würde – in einer Gesellschaft, in der nur Leistung zählt – die Verletzlichkeit des Menschen zu positiv darstellen. Doch nicht Schwäche wird hier als Ideal dargestellt, sondern Risikobereitschaft: Es geht um das Wagnis, sich auf eine Beziehung einzulassen, obwohl man sozial beziehungsweise körperlich in einer schwächeren Position ist.
    Wer hält zu uns, wenn wir verwundbar geworden sind? An wen können wir uns wenden? Haben wir dann noch einen Platz in der Gesellschaft?
    Die Regisseure wollten diese besondere Hinwendung zweier Personen zueinander zeigen, deren Begegnung völlig unwahrscheinlich war. Beide betonen, dass es sie stark gemacht habe, sich in ihrer jeweiligen Verletzlichkeit zusammenzuschließen. 5
    Davon sind wir alle drei – Philippe Pozzo di Borgo, Jean Vanier und Laurent de Cherisey – fest überzeugt, denn wir erleben täglich, wie positiv sich solche Begegnungen auswirken.
    Der Wert eines Menschen lässt sich nicht nur an seiner Tüchtigkeit oder an seinen Leistungen ermessen. Er hat auch viel mit der Fähigkeit zu tun, sich auf andere einzulassen. Wenn wir unsere Angst vor der Verschiedenheit überwinden, wenn wir unsere Schwächen vereinen, dann kann das Leben einen neuen Sinn bekommen und wieder witzig,
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