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Zicke

Zicke

Titel: Zicke
Autoren: Sara Zarr
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keine andere Möglichkeit gab.
    »Viel Glück.«
    Zweitens: Ich brachte mein Zimmer auf Vordermann. Ich holte meinen Truthahn aus Makkaroni herunter. Ich hob die Klamotten auf. Ich ordnete meine CDs. Ich putzte meinen Schreibtisch, dann zog ich die Kladde hinter dem Bett hervor und legte sie unter die Schreibtischlampe, wo sie auf mich warten würde, falls ich sie brauchte.
    Drittens: Ich fand Stacy in der Küche, wo sie gerade versuchte, sich eine Schale Müsli zu machen, während sie April an der Hüfte wiegte.
    »Brauchst du Hilfe?«
    Sie reichte mir April. »Danke. Ich möchte eigentlich |209| nur kurz was essen, ehe
sie
wieder was futtern will. Ich glaube, sie hat ’nen Wachstumsschub oder so was.«
    Ich setzte mich mit April hin und drehte ihr Gesicht zu mir. Sie strahlte, zeigte dabei viel Zahnfleisch, und ich drückte ihre knuddeligen Beinchen. Dann holte ich tief Luft. »Ich habe beschlossen … dass ich euch alles geben will, was ich diesen Sommer verdiene. Damit ihr ausziehen könnt.«
    Stacy legte ihren Löffel beiseite. »Kommt nicht infrage, Deanna. Das ist dein Geld.«
    Ich drückte April an mich und sog den Duft ihrer Haare ein, fruchtig, milchig und staubig zugleich. »Wenn ihr auszieht, bedeutet das für mich, dass ich eine Zuflucht habe. Ab und zu, meine ich. Zu Besuch. Also würde ich das Geld irgendwie auch für mich ausgeben.«
    »Deanna, das können wir nicht annehmen. Jedenfalls würde Darren das nicht zulassen.«
    »Es ist mein Geld, nicht Darrens.« April blickte zu mir auf und zappelte mit den Armen.
    Stacy steckte sich kopfschüttelnd einen Löffel Müsli in den Mund. »Du lässt mich besser außen vor, weil ich wahrscheinlich Ja sagen würde.«
    ***
    Ich musste an diesem Abend arbeiten und war mir unsicher, was mich erwarten würde, wenn ich zu Dad nach Hause kam. Mom hatte einen Zettel für mich hinterlassen, ich solle den Auflauf in den Ofen stellen, |210| also tat ich dies brav und deckte dann den Tisch für vier Personen. Stacy ging zu ihrer Schicht und Darren kam von seiner zurück.
    »Was tust du da?«, fragte er, als er mit April in ihrem Autositz in der Küche auftauchte, und betrachtete verdutzt den gedeckten Tisch, mitsamt Wassergläsern und Stoffservietten.
    »Ähm, Abendessen machen?«
    Wir sahen uns an und stießen beide das gleiche nervöse Lachen aus. Darren zerzauste sich die Haare. »Wieso eigentlich nicht, zum Teufel? Diese Familie hat schon verrücktere Dinge unternommen als gemeinsam zu Abend zu essen. Ich bin dabei.«
    Als Mom von der Arbeit kam und uns in der Küche fand, hellte sich ihr müdes Gesicht auf. »Ihr Kinder seid heute Abend beide da? Es riecht wunderbar, Deanna.«
    »Das hast du gekocht, Mom. Ich habe es nur in den Ofen gestellt.«
    »Ich kann jetzt weitermachen.« Sie legte ihre Handtasche auf einen Stuhl und krempelte die Ärmel hoch.
    »Schon okay«, meinte Darren. »Wir haben alles im Griff.«
    Sie lächelte. »Na gut. Vielleicht werde ich mal ganz kurz die Beine hochlegen.«
    Als der Auflauf fertig war, warf Darren gefrorene Brötchen in den Toastofen. Wir warteten. Eine Viertelstunde nach seiner normalen Feierabendzeit war Dad immer noch nicht zu Hause. »Vielleicht macht er Überstunden«, mutmaßte Darren.
    |211| »Die lassen ihn nie im Leben Überstunden machen.« Ich packte ein Stück Butter aus und legte es in die Butterschale, die wir seid Thanksgiving nicht mehr benutzt hatten.
    »Also, ich verhungere, lass uns reinhauen!« Er stellte Aprils Autositz auf einen Stuhl, damit sie uns beim Essen zusehen konnte. Ich brachte alles auf den Tisch. Mom kam herein und setzte sich – mit einem verstohlenen Blick auf ihre Uhr.
    Dann hörten wir die Haustür.
    Er kam herein.
    April zappelte mit den Armen.
    Dad hielt inne und ich stellte mir vor, wie er uns mit seinen Augen sah – seine Familie, in einer rosa Küche sitzend: seine müde Frau, die sich nie beklagte; sein Sohn, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war; seine Tochter, die früher das Baby gewesen war, sein kleines Mädchen; und jetzt April, seine Enkelin, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatte, bislang ohne richtige Fehler darin. Würde er uns eines Tages ansehen können, vielleicht sogar schon heute, und nicht enttäuscht sein? Konnte er uns, und sich selbst, so sehen, wie wir wirklich waren?
    Er setzte sich.
    Mom servierte den Auflauf.
    Ich ließ die Butter herumgehen.
    April beobachtete uns mit großen Augen.
    Die Lamberts, beim Abendessen.
    ***
    |212| Bevor ich schlafen ging,
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