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Zelot

Zelot

Titel: Zelot
Autoren: Reza Aslan
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diesem Zweck aufgezogen worden sein. Sie sind nicht billig. Warum sollten sie auch? Das Opfer ist der vorrangige Zweck des Tempels. Es ist der eigentliche Grund für die Existenz des Tempels. Die Lieder, die Gebete, die Lesungen – alle Rituale, die hier stattfinden, umrahmen eigentlich nur dieses einzigartige und wichtigste Ritual. Das kultische Vergießen von Blut wäscht nicht nur Ihre Sünden ab, es reinigt die Erde. Es nährt die Erde, erneuert sie, gibt ihr Kraft und schützt uns so alle vor Trockenheit, Hungersnot und Schlimmerem. Der Kreislauf von Leben und Tod, den der Herr uns in seiner Allmacht auferlegt hat, hängt ganz und gar von Ihrem Opfer ab. Geiz ist hier also wirklich fehl am Platze.
    Kaufen Sie also Ihr Opfer, und zwar ein gutes. Übergeben Sie es einem der weißgekleideten Priester, die auf dem Tempelhof herumlaufen. Sie sind die Nachfahren von Moses Bruder Aaron und verantwortlich für die täglichen Riten im Tempel: das Verbrennen des Weihrauchs, das Anzünden der Lampen, den Klang der Trompeten und natürlich das Darbringen der Opfer. Die Priesterwürde ist eine erbliche Position, aber es herrscht kein Mangel an Priestern, schon gar nicht zur Zeit der Feste, in der sie in Scharen aus fernen Ländern kommen, um bei den Feierlichkeiten zu helfen. Sie umlagern den Tempel in 24 -Stunden-Schichten, um sicherzustellen, dass die Opferfeuer Tag und Nacht brennen.
    Der Tempel besteht aus einer Reihe von Höfen, jeder kleiner, höher gelegen und im Zugang beschränkter als der vorhergehende. Der äußerste Hof, der Heidenvorhof, wo Sie Ihr Opfertier gekauft haben, ist eine weite Piazza, die allen offensteht, ungeachtet ihrer Herkunft oder Religion. Wenn Sie Jude oder Jüdin sind – und frei von allen körperlichen Gebrechen (keine Aussätzigen, keine Gelähmten) sowie ordnungsgemäß durch ein rituelles Bad gereinigt –, dürfen Sie dem Priester mit Ihrer Opfergabe durch einen Steingitterzaun in den nächsten Hof, den Frauenhof, folgen (eine Tafel am Zaun warnt alle anderen bei Androhung der Todesstrafe davor, weiterzugehen). Hier werden das Holz und das Öl für die Opfer gelagert. Jüdische Frauen dürfen nicht weiter in den Tempel hinein, jüdische Männer hingegen dürfen über eine kleine halbrunde Treppe und durch das Nikanor-Tor den Israelitenhof betreten.
    Näher werden Sie der Gegenwart Gottes nicht kommen. Dem Gestank der blutigen Tieropfer können Sie sich einfach nicht entziehen. Er liegt auf der Haut, hängt im Haar, wird zu einer lästigen Bürde, die Sie nicht allzu bald abschütteln werden. Die Priester verbrennen Räucherwerk, um den Geruch und die Krankheiten fernzuhalten, doch die Mischung aus Myrrhe und Zimt, Safran und Weihrauch kann den unerträglichen Gestank des Schlachtens nicht überdecken. Dennoch ist es wichtig, dort zu bleiben und zuzuschauen, wie Ihre Opfergabe im nächsten Hof, dem Priesterhof, dargebracht wird. Der Zutritt zu diesem Hof ist nur den Priestern und Tempelbeamten gestattet, denn dort steht der Altar des Tempels: ein Podest aus Bronze und Holz – fünf Ellen lang, fünf Ellen breit –, mit vier Spitzen an den Ecken, von dem dicke schwarze Rauchwolken aufsteigen.
    Der Priester trägt Ihr Opfer in eine Ecke und reinigt sich in einem Bassin ganz in der Nähe. Dann schlitzt er die Kehle des Tieres auf und spricht dabei ein einfaches Gebet. Ein Helfer fängt das Blut in einer Schale auf, um damit die vier Spitzen des Altars zu besprengen, während der Priester sorgfältig den Kadaver ausweidet und zerteilt. Die Haut des Tieres darf er behalten; sie bringt auf dem Markt einen hübschen Preis. Die Eingeweide und das Fettgewebe werden herausgerissen, über eine Rampe zum Altar hinaufgetragen und direkt auf das ewige Feuer gelegt. Das Fleisch wird sorgfältig tranchiert und zur Seite gelegt – nach der Zeremonie wird man es auf der Festtafel der Priester wiederfinden.
    Die gesamte Zeremonie findet vor dem innersten Hof des Tempels, dem Allerheiligsten, statt – ein vergoldetes, hoch aufragendes Heiligtum ganz im Herzen des Tempelkomplexes. Das Allerheiligste ist der höchste Punkt in ganz Jerusalem. Vor seinen Türen hängen purpurne und scharlachrote Teppiche, die mit einem Tierkreis und einem Himmelspanorama bestickt sind. Dort ist der Glanz Gottes körperlich anwesend. Es ist der Berührungspunkt zwischen dem irdischen und dem himmlischen Reich, der Mittelpunkt der gesamten Schöpfung. Die Bundeslade mit den Geboten Gottes stand einst dort, ist aber
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