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Zeitschiffe

Zeitschiffe

Titel: Zeitschiffe
Autoren: Stephen Baxter
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Elan; und ich fühlte mich richtig schuldig, als ich sah, wie ihre feinen Kutten mit Erde verschmiert wurden und Tränen der Frustration über diese schönen ovalen Gesichter kullerten. Aber ich gab ihnen keinen Dispens, und als es wirklich gar zu monoton wurde, animierte ich sie mit Spielen und Tänzen sowie stümperhaften Interpretationen von The Land of the Leal und den Fragmenten der ›Swing‹-Musik von 1944, an die ich mich noch erinnern konnte – die mochten sie besonders –, und bald hatten sie sich wieder mit der Situation arrangiert.
    Hier in diesem Zeitalter ohne Jahreszeiten waren die Wachstumszyklen völlig
    unberechenbar, und ich mußte nur ein paar Monate warten, bis die ersten Pflanzen Früchte trugen. Als ich sie den Eloi präsentierte, rief meine Freude nur einen verwirrten Ausdruck in ihren kleinen Gesichtern hervor, denn meine ersten kümmerlichen Erträge konnten hinsichtlich Qualität und Quantität nicht mit den Lieferungen der Morlocks konkurrieren – aber ich konnte die über Größe und Geschmack hinausgehende Bedeutung dieser Früchte durchaus erkennen: denn mit dieser ersten Ernte hatte die langsame Emanzipation der Eloi von den Morlocks begonnen.
    Ich konnte genügend arbeitswillige Eloi rekrutieren und im Themsetal eine Reihe kleiner Farmen anlegen. Jetzt gibt es also zum erstenmal seit ungezählten Jahrtausenden Gruppen von Eloi, die unabhängig von den Morlocks überleben können.
    Zuweilen möchte ich schier verzagen und glaube, daß ich nicht so sehr ein Ausbilder bin, sondern vielmehr ein Dressierer intelligenter Tiere; aber zumindest ist es ein Anfang. Und ich arbeite mit den aufnahmefähigeren Eloi an einer Erweiterung ihres Wortschatzes und der Verstärkung ihrer Neugier – wie Sie sehen, reak-tiviere ich ihre Intelligenz!
    Aber ich wußte, daß es mit einer derartigen Motivation und Ausbildung der Eloi allein nicht getan war; denn die Eloi waren ja nicht die einzigen Bewohner dieser Erde. Und wenn meine Reformierung des Lebens der Eloi weitergeht, wird das,
    wenn auch ungesunde, Gleichgewicht zwischen Eloi und Morlocks zerstört werden. Und die Morlocks werden unweigerlich reagieren.
    Ich erkannte, daß sich ein neuer Krieg zwischen diesen posthumanen Spezies zu einem Desaster auswachsen würde, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß meine zaghaften landwirtschaftlichen Initiativen einen massiven Angriff der Morlocks überstehen würden. Und deshalb mußte ich alle antiquierten Begriffe von Loyalität gegenüber der einen oder anderen Seite aus meiner Vorstellung streichen! Als Kind meiner Zeit gelten meine Sympathien natürlich den Eloi, denn sie wirken menschlicher, und meine Arbeit mit ihnen ist erfreulich und produktiv gewesen. Es verhält sich vielmehr so: der Gedanke fällt mir schwer, daß diese kleinen Leute keine Menschen sind – ich glaube, wenn ich jetzt einen Menschen meines eigenen Jahrhunderts gesehen hätte, wäre ich von seiner Größe, Statur und Tapsigkeit überrascht gewesen!
    Aber weder Eloi noch Morlocks sind menschlich – sie sind beide posthuman –
    ungeachtet meiner antiken Vorurteile. Und ich kann die Gleichung dieser degenerierten Geschichte nicht lösen, ohne beide Seiten zu berücksichtigen:
    Das heißt, ich muß mich der Dunkelheit stellen. Ich muß mit den Morlocks zusammenarbeiten.
    Ich habe beschlossen, wieder in den unterirdischen Komplex der Morlocks einzufahren. Ich muß einen Weg finden, mit dieser unterirdischen Rasse zu verhandeln –
    mit ihnen zu kooperieren, wie ich das auch mit den Eloi tue. Ich habe keinen Anlaß zu der Annahme, daß es unmöglich ist. Ich weiß, daß die Morlocks über eine gewisse Intelligenz verfügen: Ich habe ihre großen unterirdischen Maschinen gesehen, und ich erinnere mich, daß sie, als ich mich in ihrer Gefangenschaft befand, die Zeitmaschine zerlegt, gereinigt und sogar geölt hatten! Es kann gut sein, daß sich unter der äußerlichen Häßlichkeit der Morlocks ein Instinkt verbirgt, der dem handwerklichen Können meiner Zeit näher ist als die Lethargie der schafsähnlichen Eloi.
    Ich wußte sehr wohl – Nebogipfel hatte es mir gesagt! –, daß meine Furcht vor den Morlocks überwiegend instinktgesteuert ist und einem Komplex aus Erfahrungen, Alpträumen und Ängsten meiner eigenen Seele entspringt, der an diesem Ort völlig irrelevant ist. Ich hatte mich schon als Kind vor der Dunkelheit und unterirdischen Orten gefürchtet; dann diese Angst vor dem Körper und seiner Beschädigung, die
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