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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Autoren: Amanda Knox
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auspackte, begriff ich, warum das so schnell hatte gehen können. Sie war freundlich und entgegenkommend. »Komm doch heute Abend mit und lern meine Freundinnen kennen«, sagte sie. »Ich zeige dir alles, was ich in Perugia schon kenne. Es wird dir hier gefallen.«
    Meredith und ich, die neuesten und jüngsten Mitbewohnerinnen, hatten vieles gemeinsam. Wir waren beide Kinder geschiedener Mittelschichts-Eltern, und mit einundzwanzig war sie nur ein Jahr älter als ich. Wir hatten uns beide mächtig angestrengt, damit wir dieses Jahr in Italien verbringen konnten. Jetzt, da ich endlich am Ziel war, schienen sich die vielen Arbeitsstunden in Seattle – früh am Morgen als Kellnerin, bis spätabends für einen Partyservice am Ort, dazwischen das Training einer Mädchen-Fußballmannschaft – auf jeden Fall gelohnt zu haben. Meredith mochte Italien schon als Kind und war am Boden zerstört gewesen, als ihre Universität sie für das Auslandsprogramm abgelehnt hatte, doch sie hatte Widerspruch gegen diese Entscheidung eingelegt und gewonnen. Vielleicht waren wir beide deshalb so versessen auf diese einmalige Erfahrung.
    Als ich an jenem ersten Tag mit Meredith sprach, war ich erschrocken, wie wenig ich doch über Perugia wusste. Ich ging davon aus, dass Meredith und ich zusammen die Ausländeruniversität besuchen würden, aber sie war an der staatlichen Universität von Perugia eingeschrieben. Ich konnte kaum glauben, dass ich mich so auf mein eigenes Programm eingeschossen und dabei eine Hochschule am Ort mit sage und schreibe vierunddreißigtausend Studenten übersehen hatte – nur zehn Minuten Fußweg von unserer Villa entfernt. Ich hätte alles darüber herausfinden können, wenn ich mir nur die Mühe gegeben hätte, bei Google nachzuforschen. Doch ich hatte mir ein derart klischeehaftes Bild von Perugia als einer ruhigen, beinahe klösterlichen Stadt zurechtgelegt. Wie sich herausstellte, waren mehr als ein Viertel der Bevölkerung Studenten, und auch wenn Perugia über ein Jahrtausend älter und viel malerischer ist als zum Beispiel Ann Arbor oder Berkeley oder Chapel Hill, ist es doch eine Universitätsstadt wie diese. Und so hatte die Realität schon am ersten Tag meine Erwartungen über den Haufen geworfen.
    Merediths Freundinnen, die ich beim Abendessen traf, fügten sich in das Bild der zurückhaltenden britischen Art. Bestimmt kam ich ihnen wie eine typische, laute Amerikanerin vor. Ich war energisch und nahm kein Blatt vor den Mund, selbst nach den unkonventionellen Maßstäben von Seattle. Und ich war wohl lauter, als ich sein wollte. Während wir im Restaurant Wein tranken und Pizza aßen, stimmte ich einen Song an, der damals angesagt war. Doch was in Seattle Gelächter auslöste, traf in Perugia auf verlegene Blicke. Mir war nicht in den Sinn gekommen, dass die Marotten, die meine Freunde zu Hause reizend fanden, Menschen tatsächlich abstoßen konnten, die Abweichungen eher kritisch betrachteten. Jemand, der gesellschaftlichen Normen angepasster gewesen wäre, hätte wahrscheinlich gemerkt, dass unreifes Getue hier nicht gut ankam. Ich war froh, dass ich zu Hause mit Laura, Filomena und Meredith abhängen konnte. Obwohl Meredith auf jeden Fall etablierter und ernster war, als ich es je sein würde, und Laura und Filomena älter und gebildeter waren, fühlte ich mich in ihrer Gesellschaft wohl. Sie akzeptierten mich anscheinend von Anfang an.
    In meinem ersten Monat in Perugia verbrachte ich mehr Zeit mit Meredith als mit anderen. Ich mochte sie sehr, und sie schien gern mit mir zusammen zu sein. Schon jetzt konnte ich mir vorstellen, dass wir per E-Mail in Kontakt bleiben würden, wenn unser Jahr im Ausland abgelaufen war. Vielleicht würden wir uns irgendwann sogar in unseren Heimatstädten besuchen.
    An der staatlichen Universität von Perugia fing das Semester früher an als an der Ausländeruniversität, daher war Meredith an meinem ersten vollen Tag in Perugia schon in einem Seminar. Ich machte mich allein auf Entdeckungsreise und suchte das kleine Café auf, in dem Deanna und ich Ende August alle unsere Mahlzeiten eingenommen hatten; es war das einzige, das mir vertraut war. Ich wollte den großen, gutmütigen Kellner mit angehender Glatze wiedersehen, der unsere lächerliche Mischung Espresso + Milch + Schokolade rausbekommen hatte. Seinen Namen wusste ich nicht mehr, doch wenn man irgendwo hinkommt und niemanden kennt, ist man dankbar für jeden netten Kontakt. Es stellte sich jedoch heraus,
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