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Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Zeit, gehört zu werden (German Edition)

Titel: Zeit, gehört zu werden (German Edition)
Autoren: Amanda Knox
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gebracht und ihnen damit auf meine Art gesagt: Das ist bis jetzt die wichtigste Entscheidung meines Lebens. Es war ein Trommelwirbel, damit sie merkten, dass ich bereit war, auf eigenen Füßen zu stehen.
    Wie immer ging ich zuerst zu meiner Mutter. Sie ist ein Freigeist und glaubt, wir sollten unseren Eingebungen folgen. Als ich ihr erzählte, dass ich gerne in Italien an der Ausländeruniversität Perugia studieren wollte, sechstausend Meilen von zu Hause weg, lautete ihre nicht weiter überraschende Antwort: »Nur zu!«
    Meine Mutter, die in Seattle aufwuchs, ist in Deutschland geboren, und meine Großmutter, die Oma, sprach oft deutsch mit Deanna und mir, als wir klein waren. Erst zu Beginn meines Studiums wurde mir klar, dass ich sprachbegabt bin, und ich spielte mit dem Gedanken, Übersetzerin zu werden. Oder Schriftstellerin. Als es Zeit wurde zu entscheiden, wo ich mein Junior Year verbringen sollte, dachte ich zunächst an Deutschland. Letzten Endes entschied ich mich jedoch dafür, eine Sprache und ein Land eigener Wahl zu finden – ein Land, das meine Familie noch nicht mit Beschlag belegt hatte. Ich war mir sicher, das würde mir helfen, eine eigenständige Erwachsene zu werden.
    Deutschland wäre die sichere Seite gewesen, doch Sicherheit war nicht mein Thema. Ich strebte nach Unabhängigkeit und baute auf mein Verantwortungsgefühl, auch wenn ich manchmal meine Entscheidungen eher aus dem Bauch heraus als auf rationale Weise traf – und manchmal waren sie falsch.
    Wenn ich wirklich Übersetzerin werden wollte, wären Spanisch oder Französisch eine bessere Wahl gewesen als Italienisch. Aber Spanisch nahmen alle, und mit dem Französischen fühlte ich mich nicht verbunden. Meine Begeisterung für die italienische Kultur reicht zurück in die Mittelstufe, als ich Latein lernte und etwas über die römische und italienische Geschichte erfuhr. Sie wurde noch gesteigert, als ich im Alter von vierzehn Jahren mit meiner Mutter und ihrer Familie für zwei Wochen nach Europa reiste. Oma, Tanten, Onkel, mein Stiefvater, Deanna und ich zwängten uns in zwei Kleinbusse; wir fuhren durch Deutschland und Österreich, um Verwandte zu besuchen und in München zum Oktoberfest zu gehen, bevor wir uns Richtung Süden nach Italien begaben, um uns Pisa, Rom, Neapel, Pompeji und die Amalfiküste anzusehen. Die Geschichte wurde mit Händen greifbar, als wir das Kolosseum in Rom und die Ruinen von Pompeji besichtigten.
    Ich weiß noch, dass ich meine Familie auf Verschiedenes hinwies und jede Menge halbverdaute Wissensbröckchen wiederkäute, sodass sie mir den Spitznamen »Fremdenführerin« gaben. Ich war bezaubert von den schmalen Pflasterstraßen und den im Boden verwurzelten Gebäuden, die so ganz anders waren als das, was ich aus Seattle gewohnt war. Die Anschläge auf das World Trade Center hatten sich gerade anderthalb Monate vorher ereignet, und alle Italiener, die wir kennenlernten, zeigten sich warmherzig und mitfühlend. Am Ende war Italien für mich ein gastfreundliches Land, reich an Kultur und Geschichte.
    Als Studentin am College hatte ich mich für den Grundkurs Italienisch eingeschrieben. Als ich dann feststellte, dass die University of Washington ein Seminar »kreatives Schreiben« in Rom – noch dazu auf Italienisch – anbot, kam mir das wie ein Wink des Schicksals vor. Es fasste alles zusammen, wonach ich suchte. Schritt eins war, fließend Italienisch sprechen zu lernen und mich neun Monate lang in der kleinen Stadt Perugia in die Kultur einzuleben. Dann wäre ich bereit, in Rom das Seminar zu belegen.
    Nun musste ich meinen Vater davon überzeugen. Er denkt geradlinig, arbeitet im Finanzwesen und beschäftigt sich mit Zahlen und Planung. Pragmatisch und durchorganisiert, wie er ist, würde er eine Menge Fragen haben. Daher hatte ich mich vor dem Gespräch mit Antworten gerüstet.
    Außerdem lag mir noch etwas am Herzen, als ich das Essen mit beiden Eltern arrangierte. Ich wollte meinem Vater zeigen, dass ich sie beide gleichermaßen liebte. Während ich ihn bat, mir bezüglich Perugia zu vertrauen, bat ich zugleich um Verzeihung.
    Nach meinen ersten beiden Jahren am College fiel es mir allmählich leichter, Dinge mit den Augen anderer Menschen zu sehen. Ich fing an, im Geist aufzulisten, wie oft ich egoistisch gewesen war. Ein großes Thema war, wie ich meinen Vater zu Teenagerzeiten behandelt hatte.
    Schon als Kind verbrachte ich offiziell jedes zweite Wochenende bei ihm. Mein Vater kümmerte sich
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