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Zeit der Geheimnisse

Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse
Autoren: Sally Nicholls
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anfangen oder aufhören. Grandma späht mit ihren kurzsichtigen Augen nach unten.
    »Kann sein«, sagt sie schließlich, »kann sein, dass ein Fuchs unterwegs war und Kaninchen gerissen hat. Aber jetzt gehen wir nach Hause, Moll. Ich bin eine alte Frau und nass bis auf die Haut.«
    »Aber der Mann«, sage ich, »er ist verletzt!«
    »So schlimm kann es nicht sein, wenn er jetzt nicht mehr hier ist«, sagt Grandma. »Wenn er nur ein bisschen Verstand hat, dann ist er auch nach Hause gegangen. Auf jeden Fall sollten wir beide jetzt nach Hause gehen und Grandpa und Hannah sagen, dass du wieder da bist.«
    Hannah ist also tatsächlich wieder umgekehrt. Ich hätte es wissen können, dass sie nicht im Ernst weglaufen würde. Plötzlich komme ich mir wie betrogen vor, um mein Abenteuer betrogen. Und um meine Rolle als die Vernünftige von uns beiden. Jetzt bin ich wieder die Kleine, die wieder mal alles falsch gemacht hat.
    Grandma streckt die Hand nach mir aus, und ich nehme sie.
    »Du glaubst, ich hab mir das alles nur ausgedacht, stimmt’s?«, sage ich. Tatsächlich habe ich mir oft Geschichten ausgedacht, als ich klein war, aber jetzt nicht mehr.
    »Ich?«, sagt Grandma. »Ich glaube, es gibt viel Wichtigeres, worüber ich mir den Kopf zerbrechen muss.«
    Was nicht unbedingt heißt, dass sie mir glaubt.

     
     
     

3 - Nachtgedanken
    Grandpa kommt gerade den Hügel hoch, als wir zu Hause eintreffen.
    »Molly-Liebes«, sagt er. »Was ist denn passiert? Bist – «
    »Ihr geht’s gut«, sagt Grandma, bevor ich antworten kann. »Aber sie könnte ein Bad brauchen – sieh sie dir nur an.«
    Ohne ein weiteres Wort bringt Grandpa mich hoch und lässt Badewasser einlaufen. Später steckt er mich in meinem winzigen Zimmer ins Bett und bringt mir einen Teller mit kalten Würstchen und harten gelben Kartoffeln. Er setzt sich zu mir aufs Bett und wartet, bis ich aufgegessen habe. Die Vorhänge sind schon zugezogen, aber ich schaue ohnehin nicht hinaus. Ich mag nicht daran denken, was sich vielleicht noch da draußen herumtreibt.
    »Bald kümmern wir uns um dein Zimmer«, sagt Grandpa. »Bring ein paar von deinen Bildern von zu Hause mit und häng sie auf, ja?«
    »Mmm«, sage ich. Dad hat versprochen, wir würden nur einen Besuch hier machen. Bilder aufhängen klingt ein bisschen zu sehr nach endgültig bleiben.
    »Euer Dad kommt am Samstag«, sagt Grandpa. »Ist das nicht schön?«
    »Ja.«
    »Gut.« Er tätschelt mir unbeholfen die Hand. »Du würdest es mir doch sagen, Molly-Liebes, wenn du irgendein Problem hast, oder? Mit Hannah oder der Schule oder … oder auch sonst?«
    »Mmm«, sage ich wieder und verziehe mich tiefer unter meine Decke. Grandpa seufzt.
    »Na gut.« Er beugt sich mühsam zu mir herüber und küsst mich auf die Stirn. »Schlaf schön, Schätzchen.«
    Als er gegangen ist, liege ich auf dem Rücken und starre an die Zimmerdecke. Über meinem Kopf prasselt der Regen aufs Dach. Ich muss an den Mann denken, den sie gejagt haben, an seine Stimme in der Dunkelheit, als er mir sagte: »Niemand ist verletzt. Niemand tut dir etwas.« Ich frage mich, wo er jetzt wohl sein mag. Ich frage mich, ob er ein trockenes Plätzchen gefunden hat, wo er schlafen kann. Ich frage mich, ob die Jäger ihn gefunden haben.
    Ich muss an seine Hände denken, wie sanft sie mich berührt haben. Ich erinnere mich an den freundlich Klang in seiner Stimme, als er sagte: »Sch-sch. Keiner tut dir was. Sch-sch.«
     

4 - Die Welt in Büchern
    Das Einzige, was ich an diesem Zimmer mag, ist die Fensterbank. Sie ist breit und tief, und wenn man sich mit einem Buch daraufsetzt und die Vorhänge hinter sich zuzieht, dann kann man sich vorstellen, man wäre in einem geheimen Zimmer und kein Mensch auf der Welt könnte einen finden.
    Ich war immer schon ein Bücherwurm, und seit wir hier wohnen und nicht mehr andauernd zur Theaterprobe oder zur Klavierstunde oder zum Turnen müssen, lese ich noch mehr. Das Regal im Flur ist voller Bücher, die Dad und Tante Meg gehörten, als sie klein waren. Richtig alte, gebundene Bücher wie Peter Pan und alle Bücher der Swallows-and-Amazons-Reihe.
    Und Bücher über Pfadfinderinnen. Die meisten kenne ich schon, weil ich sie jedes Mal lese, wenn wir zu Besuch hier sind.
    Ich wünschte, ich könnte in einem Buch leben. In Büchern funktioniert die Welt viel besser. Wenn man ein Picknick macht, scheint die Sonne. Wenn etwas gestohlen wird, denkt man scharf nach und klärt so die Tat auf. Wenn jemand
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