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Zeit der Geheimnisse

Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse
Autoren: Sally Nicholls
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deutlich weniger wichtig als früher. Und um zehn vor neun, als Hannah sagt: »Jetzt musst du uns sagen, dass wir losgehen sollen«, sieht er bloß auf die Uhr und sagt: »Dann mal los, ihr zwei!«, ohne erst zu fragen, ob wir unsere Schulbücher haben und die Mäppchen oder das Pappmaché-Modell der Schwebefähre von Middlesbrough.
    Im Vorgarten bleiben wir stehen und sehen uns an.
    »Dad ist zurück!«, sage ich.
    »Nicht für immer«, sagt Hannah. »Aber immerhin kommandiert Grandma uns nicht herum!« Und damit rennt sie los und den Hügel hinunter, dass die Schultasche auf ihrem Rücken auf und ab hüpft.
     
    Als wir nach Hause kommen, steht er im Laden und verkauft Alexanders Vater Briefmarken.
    »Halli-hallo!«, ruft er. »Wollt ihr ein Ei?« Und schon wirft er uns jeder ein Cadbury-Creme-Ei zu.
    »Du bist ja richtig glücklich«, sagt Hannah. Und das ist er wirklich. Es gibt richtiges selbst gebackenes Dad-Brot, das zwar in Grandmas Ofen auch nicht aufgeht, aber es schmeckt genauso knusprig wie früher zu Hause.
    Als der Donnerstag kommt, haben wir uns schon daran gewöhnt, ihn ganz für uns zu haben. Die Vorstellung, dass er bald wieder nach Hause zurückfährt, ist ein Schock.
    Nach der Schule, bevor Grandpa und Grandma zurückkommen, helfe ich ihm im Laden. Ich räume all die neu gelieferten Konservendosen und die anderen Sachen in die Regale. Ich wische den Boden. Ich verkaufe Sascha und ihrer kleinen Schwester Brausepulver.
    »Wenn ich deine Großmutter wäre«, sagt Dad, »dann würde ich dich sofort anstellen.«
    Er sieht so fröhlich aus, dass ich es riskiere, ihn noch einmal zu fragen.
    »Willst du nicht einfach hierbleiben?«
    Dad legt einen Arm um mich.
    »Ich wünschte, das könnte ich«, sagt er. »Aber ich kann eurer Großmutter ja nicht die Arbeit wegnehmen. Und außerdem habe ich meine eigene Arbeit. Das weißt du.«
    Ich lehne meinen Kopf an seinen Bauch.
    »Das heißt, du kannst uns nicht bei dir haben.«
    »Nein.«
    »Und Grandma ist jetzt für uns zuständig.«
    »Na ja«, sagt er und drückt mich an sich. »Ein bisschen vielleicht auch ich.«
    Ich sehe auf. »Wenn du eine andere Arbeit hättest, würdest du uns dann zurückholen?«
    Ganz lange antwortet er nicht. Dann fragt er: »Würdest du das wollen?«
    Ich nicke.
    »Ich – « Er bricht ab, aber dann macht er einen neuen Versuch. »Es kann sein, dass ich nicht immer alles richtig mache.«
    »Ich mach auch nicht immer alles richtig«, sage ich. »Ich mache dauernd irgendwas verkehrt. Und das stört dich doch auch nicht, oder?«
    »Ach, Moll«, sagt Dad. »Überhaupt nicht. Nie.«
    »Na dann.«
    Dad ist still. »Demnächst wird eine Stelle frei. Als Redakteur. Bei jemandem, den ich von der Uni kenne. Das wäre am anderen Ende der Stadt, aber die Arbeitszeiten sind besser. Und ein paar Stunden könntet ihr nach der Schule schon alleine zurechtkommen, oder?«
    »Ja!«, sage ich. »Mach das!«
    »Es ist noch nichts entschieden«, sagt Dad. »Vielleicht bekomme ich die Stelle auch nicht. Das verstehst du doch, Moll, oder? Es ist noch alles offen.«
    »Du bekommst sie«, sage ich. »Bestimmt, nicht wahr?«
    »Ich weiß nicht«, sagt Dad. Und dann drückt er mich ganz plötzlich, so fest, dass ich spüre, wie meine Rippen sich gegen meine inneren Organe drücken. »Behalt es noch für dich«, sagt er. »Aber doch, ja, ich glaube schon.«
     

57 - Mitternachtsjäger
    Das mit Dad wäre also geregelt. Ein Punkt abgehakt, einer noch zu erledigen. Wenn Grandma das mit Dad hinkriegt, kriege ich dann die Sache mit dem Stechpalmenkönig hin?
    An dem Abend, als Dad wieder abfährt, kann ich nicht einschlafen. Ich liege im Bett und höre, wie Grandma und Grandpa unten herumlaufen. Ich höre das Lachen von Leuten im Radio, höre Grandpa singen, während er die Teebecher spült, und höre Grandma, die die Buchführung macht und Grandpa dabei fragt: »Hast du eine Ahnung, wieso alle Welt plötzlich Wattestäbchen kauft?«
    Wenn ich den Kopf unter dem Vorhang durchstecke, sehe ich tiefblauen Himmel; ein einzelner Stern steht über den Hügeln am Himmel. Ich nehme Humphrey fest in den Arm und stütze mein Kinn auf seinen Kopf. Es ist absolut still jetzt. Nichts rührt sich. Niemand ist draußen.
    Und dann sehe ich ihn.
    Er steht im Schatten und sieht zum Laden herüber. Er ist es. Der gehörnte Gott, der Stechpalmenkönig. Mir bleibt vor Schreck die Luft weg, als ich ihn so aus der Nähe sehe.
    Derselbe starke Körper, das kräftige, breite,
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