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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens
Autoren: Cecelia Ahern
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{35 } Hitzeschauer durch den ganzen Körper schickte. Bis zu diesem Moment hatte der Beobachter gar nicht gewusst, wie kalt ihm eigentlich war. »Ganz herzlichen Dank.«
    »Kein Problem. Ich habe im Radio gehört, dass heute der kälteste Tag des Jahres sein soll.« Die polierten Schuhe stampften auf den Betonplatten hin und her, und die Lederhandschuhe rieben sich aneinander, um das Gesagte zu demonstrieren.
    »Tja, das kann ich gerne glauben. Schweinekalt ist das. Man friert sich den Arsch ab, wie man so schön sagt. Aber das hier wird helfen.« Der Beobachter blies auf das heiße Getränk und setzte den Becher an die Lippen, um den ersten Schluck zu probieren.
    »Er ist ohne Zucker«, erklärte Lou entschuldigend.
    »Ach du liebe Zeit.« Der Beobachter verdrehte die Augen und setzte den Becher so schnell wieder ab, als enthielte er ein tödliches Gift. »Auf geschäumte Milch kann ich verzichten, aber ohne Zucker, das geht zu weit.« Er streckte Lou den Kaffee wieder hin.
    Doch nun war Lou in den Humor eingeweiht und lachte. »Okay, okay, ich hab verstanden.«
    »Arme Leute können nicht wählerisch sein, oder? Bedeutet das auch, wer wählerisch ist, kann nicht arm sein?« Der Beobachter zog eine Augenbraue in die Höhe, lächelte und trank nun endlich den ersten Schluck. So hingebungsvoll vertiefte er sich in das Gefühl, mit dem die Wärme und das Koffein sich in seinem Körper ausbreiteten, dass er gar nicht merkte, wie aus ihm, dem Beobachter, auf einmal der Beobachtete wurde.
    »Oh. Ich bin übrigens Gabe.« Er streckte die Hand aus. »Gabriel eigentlich, aber alle, die mich kennen, nennen mich Gabe.«
    Lou nahm die dargebotene Hand. Warmes Leder berührte kalte Haut. »Ich bin Lou, aber alle, die mich kennen, nennen mich Arschloch.«
    Gabe lachte. »Tja, das hat man von der Ehrlichkeit. Wie wäre es, wenn ich Sie Lou nenne, bis wir uns besser kennen?«
    Sie lächelten sich an, dann schwiegen sie in einer plötzlichen Anwandlung von Verlegenheit. Wie zwei kleine Jungen, die auf dem Schulhof Freundschaft schließen. Auf einmal begannen die glänzenden Schuhe nervös zu trippeln, tipptapp, tapptipp, hin und her, auf und ab, eine Kombination aus Warmhaltetaktik und Unentschlossenheit. Sollten sie bleiben oder gehen? Ganz langsam drehten sich die Spitzen zum Bürogebäude nebenan. Bald würde der Schuhbesitzer dorthin folgen.
    »Viel zu tun heute Morgen, was?«, fragte Gabe leichthin, und die Schuhe wandten sich ihm sofort wieder zu.
    »Bald ist Weihnachten, da wird es immer hektisch«, bestätigte Lou.
    »Je mehr Leute unterwegs sind, desto besser für mich«, sagte Gabe, als klirrend eine Zwanzig-Cent-Münze in seiner Tasse landete. »Danke«, rief er der Frau nach, die ohne stehen zu bleiben wortlos weiterhastete. Ihrer Körpersprache nach hätte man fast eher denken können, dass ihr das Geldstück aus der Manteltasche gefallen war, als dass sie es hergeschenkt hatte. Gabe blickte Lou mit großen Augen an und grinste breit. »Sehen Sie? Morgen geb
ich
den Kaffee aus«, kicherte er.
    Lou versuchte sich so unauffällig wie möglich vorzubeugen, um einen Blick in die Tasse zu werfen. Das Zwanzig-Cent-Stück lag ganz allein auf ihrem Boden.
    »Ach, keine Sorge. Ich leere den Pott hin und wieder {37 } aus. Schließlich möchte ich ja nicht, dass die Leute denken, mir geht es zu gut«, lachte Gabe. »Sie wissen doch, wie das ist.«
    Lou war derselben Ansicht. Und doch auch wieder nicht.
    »Die Leute sollen lieber nicht wissen, dass mir das Penthouse da drüben gehört«, sagte Gabe mit einer Kopfbewegung zur anderen Seite des Flusses.
    Lou wandte sich um und blickte über die Liffey. Dort stand der Wolkenkratzer, den Gabe meinte – der neueste am Dublin Quay. In seiner Glasfront spiegelte sich fast das ganze Stadtzentrum: Von dem restaurierten Wikinger-Langschiff, das am Kai ankerte, über die zahllosen Kräne und modernen Büro- und Gewerbegebäude, die die Liffey säumten, bis zum stürmischen, wolkenverhangenen Himmel fing das hohe Bauwerk alles ein und gab das Bild wie ein riesiger Plasmabildschirm an die City zurück. Das Bauwerk war geformt wie ein Segel, wurde nachts von blauen Scheinwerfern angestrahlt, und in den ersten Monaten nach der Fertigstellung hatte man überall in der ganzen Stadt darüber geredet. So lange, bis etwas noch Neueres, Interessanteres ihm den Rang ablief.
    »Gefällt Ihnen die Hütte?«, fragte Lou, der das Hochhaus immer noch fasziniert anstarrte.
    »Es ist mein Lieblingshochhaus,
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