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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition)
Autoren: George Saunders
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an, der auf Knien vor ihm lag, wie der Gefangene mit verbundenen Augen, den sie auf diesem Video in Geschichte gesehen hatten, wo ihn gleich so ein total förmlicher Helm-Typ mit seinem Schwert köpfen würde.
    Kyle, nicht, flüsterte sie.
    Noch Monate später hatte sie Albträume, in denen Kyle den Stein niedersausen ließ. Sie stand auf der Veranda und versuchte seinen Namen zu schreien, aber kein Ton kam raus. Und der Stein sauste nieder. Dann hatte der Kerl keinen Kopf mehr. Der Schlag löste buchstäblich seinen Kopf auf. Dann kippte sein Körper zur Seite, und Kyle drehte sich zu ihr um, mit todunglücklichem Blick, so, Mein Leben ist gelaufen. Ich hab jemanden umgebracht.
    Wie kam es bloß, fragte sie sich manchmal, dass wir im Traum oft die einfachsten Dinge nicht tun können? So, ein weinendes Kätzchen steht mitten in Glasscherben, und du willst es hochnehmen und ihm die Scherben von den Pfoten streichen, aber das kannst du nicht, weil du einen Ball auf dem Kopf balancierst. Oder du fährst, und da ist dieser alte Knacker auf Krücken, und du sagst so zu Mr Feder, deinem Fahrlehrer, Soll ich ausweichen? Und er so, Ähm, würd ich sagen. Aber dann hörst du es fett scheppern, und Feder schreibt ein Minus in sein Buch.
    Manchmal wachte sie aus dem Traum mit Kyle weinend auf. Letztes Mal waren Mom und Dad schon da und sagten, So war es gar nicht. Weißt du noch, Allie? Wie ist es passiert? Sag es. Sag es laut. Allie, kannst du Mommy und Daddy sagen, wie es wirklich passiert ist?
    Ich bin rausgelaufen, sagte sie. Ich hab gebrüllt.
    Genau, sagte Dad. Du hast gebrüllt. Gebrüllt wie ein Sieger.
    Und was hat Kyle gemacht?, fragte Mommy.
    Den Stein hingelegt, sagte sie.
    Euch Kindern ist was Schlimmes passiert, sagte Dad. Aber es hätte schlimmer kommen können.
    So viel schlimmer, sagte Mom.
    Aber euch Kindern ist es zu verdanken, sagte Dad, dass es nicht schlimmer kam.
    Das habt ihr so gut gemacht, sagte Mom.
    Großartig gemacht, sagte Dad.

GESTELL
    Jedes Jahr zu Thanksgiving strömten wir abends nach draußen, hinter Dad her, der den Anzug vom Weihnachtsmann auf die Straße zerrte und über eine Art Kruzifix drapierte, das hatte er im Garten aus Metallstangen gebastelt. In der Super-Bowl-Woche hatte das Gestell ein Football-Trikot an und Rods Helm auf, und Rod brauchte das Okay von Dad, wenn er den Helm runternehmen wollte. Am 4. Juli war das Gestell Uncle Sam, am Veteranentag ein Soldat, zu Halloween ein Gespenst. Das Gestell war Dads einziges Zugeständnis an den Übermut. Wir kriegten immer jeder nur einen Wachsmalstift aus der Schachtel. Heiligabend kreischte er Kimmie an, als sie einen Apfelschnitz liegenließ. Wenn wir Ketchup aufs Essen taten, saß er uns im Nacken und sagte immer, Reicht reicht reicht. Auf Geburtstagsfeiern gab es nur Cupcakes, kein Eis. Als ich zum ersten Mal ein Mädchen mit nach Hause brachte, sagte sie, Was ist denn mit deinem Dad und diesem Gestell da los?, und ich saß blinzelnd da.
    Wir zogen zu Hause aus, heirateten, bekamen selber Kinder und stellten fest, dass die Saat der Bosheit auch in uns aufging. Inzwischen schmückte Dad das Gestell aufwändiger, und die Logik war schlechter zu erkennen. Am Tag des Murmeltiers drapierte er irgendein Fell darüber und schleppte ein Flutlicht nach draußen, damit es einen Schattenwurf gab. Als Chile von einem Erdbeben erschüttert wurde, legte er das Gestell auf die Seite und sprühte einen Erdspalt auf den Boden. Mom starb, und er verkleidete das Gestell als Tod und hängte Babyfotos von ihr an die Querstange. Wenn wir zu Besuch kamen, fanden wir merkwürdige Talismane aus seiner Jugend um den Fuß des Gestells arrangiert: Medaillen aus der Army, Theaterkarten, alte Sweatshirts, Make-up-Tuben von Mom. Einen Herbst strich er das Gestell hellgelb an. Im selben Winter bedeckte er es mit lauter Wattebäuschen, um es zu wärmen, und sorgte auch für Nachkommen, indem er sechs Stangenkreuze in den Gartenboden rammte. Er zog Bindfäden zwischen dem Gestell und den Kreuzen und klebte Briefe daran, in denen er sich entschuldigte, Irrtümer zugab, um Verständnis bat, alles mit manischer Hand auf Karteikarten geschrieben. Er malte ein Schild mit LIEBE drauf und hängte es ans Gestell, dann noch eins mit VERGEBUNG? , und dann starb er in der Diele, bei laufendem Radio, und wir verkauften das Haus an ein junges Paar, das das Gestell herausriss und für die Müllabfuhr an die Straße stellte.

WELPE
    Schon zweimal hatte Marie auf das Funkeln der
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