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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition)
Autoren: George Saunders
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diesem Augenblick – mit ihr passieren würde.
    Er war doch noch ein Kind. Er konnte nichts tun. In seiner Brust spürte er das intensive Nachlassen von Druck, zu dem es immer kam, wenn er sich einer Leitlinie unterwarf. Dort zu seinen Füßen lag die Geode. Die sollte er einfach anschauen, bis sie weg waren. Es war ein großes Exemplar. Vielleicht das überhaupt größte. Die Kristalle an der Schnittfläche glitzerten in der Sonne. Sie würde schön im Garten aussehen. Wenn er sie dann mal eingesetzt hätte. Er würde sie einsetzen, sobald die weg waren. Dad würde beeindruckt sein, dass er, selbst nach den Ereignissen, daran gedacht hatte, die Geode einzusetzen.
    So ist es richtig, Scout.
    Wir sind sehr angetan, geliebter einziger Sohn.
    Super gemacht, Scout.
    Heilige Scheiße. Es lief tatsächlich. Sie marschierte genauso fügsam und treuherzig mit, wie er es immer gewusst hatte. Er hatte sie im Kopf seit der Taufe von Dings. Sergeis Kleinem. In der russischen Kirche. Da hatte sie in ihrem Garten gestanden, und ihr Dad oder irgend so einer hatte sie fotografiert.
    Er so, Hallo, Mieze.
    Kenny so, Bisschen jung, Alter.
    Und er so, Für dich vielleicht, Opa.
    Wenn man Geschichte studierte, Kulturgeschichte, dann kam einem die eigene Epoche kleinlich vor. Es gab verschiedene Theorien der Einwilligung. In biblischen Zeiten konnte ein König über ein Feld reiten und sagen: Die da. Und dann wurde sie zu ihm gebracht. Und sie wurden ordentlich vermählt, und wenn sie einem Sohn das Leben schenkte, super, holt die Wimpel raus, die behalt ich. Ob sie in jener ersten Nacht drauf stand? Wahrscheinlich nicht. Ob sie zitterte wie Espenlaub? Egal. Nicht egal waren die Nachkommen und das Weiterleben des Geschlechts. Plus die Begeisterung des Königs, die zu berechtigter königlicher Macht führte.
    Da war der Bach.
    Er führte sie direkt hindurch.
    Die folgenden Punkte blieben in der Entscheidungsmatrix: zur Seitentür des Lieferwagens bringen, reinschubsen, hinterher, Handgelenke/Mund mit Klebeband umwickeln, an Kette legen, Ansage machen. Er hatte die Ansage voll drauf. Hatte sie sowohl auswendig gelernt, als auch mit Aufnahme geübt: Beruhige dich, mein Liebling, ich weiß, du hast Angst, weil du mich noch nicht kennst und das heute nicht erwartet hast, aber gib mir eine Chance, und du wirst sehen, wir werden schweben. Siehst du, ich lege das Messer da drüben hin, und ich gehe davon aus, dass ich es nicht benutzen muss, nicht wahr?
    Falls sie nicht in den Lieferwagen einstieg, hart in den Bauch boxen. Dann hochheben, zur seitlichen Tür des Lieferwagens tragen, reinwerfen, Handgelenke/Mund mit Klebeband umwickeln, an die Kette legen, Ansage machen usw. usf.
    Stopp, stehen bleiben, sagte er.
    Mädchen blieb stehen.
    Scheißkram. Seitentür des Lieferwagens war zu. Wie undiszipliniert war das denn. Sichergehen, dass die Tür offen war, gehörte ganz klar zu der missionsvorbereitenden Matrix. Melvin tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Auf Melvins Gesicht lag der Ausdruck heißer Enttäuschung, der stets dem Hinternversohlen vorausgegangen war, das stets der anderen Sache vorausgegangen war. Behalt die Hände oben, sagte Melvin, verteidige dich.
    Wohl wahr. Kleiner Fehler. Hätte die missionsvorbereitende Matrix noch mal checken sollen.
    Keine große Sache.
    Freude, keine Angst.
    Melvin war seit fünfzehn Jahren tot. Mom seit zwölf.
    Die kleine Schlampe hatte sich jetzt umgedreht, schaute zum Haus zurück. Diesen Eigensinn konnte man nicht durchgehen lassen. Der musste im Keim erstickt werden. Er durfte nicht vergessen, ihr früh wehzutun, um eine Grenze zu ziehen.
    Dreh dich um, verdammt noch mal, sagte er.
    Sie drehte sich um.
    Er entriegelte die Tür, riss sie auf. Augenblick der Wahrheit. Wenn sie einstieg und ihn das Klebeband anbringen ließ, hatten sie es geschafft. Er hatte einen Ort in Sackett gefunden, ein Mordsmaisfeld mit Zugang über einen Feldweg. Wenn es ficktechnisch gut lief, konnten sie da gleich auf den Freeway. Praktisch den Lieferwagen klauen. Der gehörte Kenny. Hatte ihn für heute ausgeliehen. Scheiß auf Kenny. Kenny hatte ihn mal dämlich genannt. Dumm gelaufen, Kenny, der Spruch hat dich mal eben einen Lieferwagen gekostet. Wenn es ficktechnisch schlecht lief und sie ihn nicht richtig geil machte, würde er die Aktion abbrechen, die Zielperson kappen, raushieven, Lieferwagen säubern, falls nötig, Mais kaufen gehen, Wagen bei Kenny abliefern und sagen, Hey, Alter, da haste n Riesenhaufen Mais,
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