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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition)
Autoren: George Saunders
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keuchend dastand, lernte man einen Baum gut kennen. Dieser hier hatte drei Knoten: Auge, Auge, Nase. Der da fing als ein Baum an und wurde zu zweien.
    Plötzlich war er nicht mehr nur der sterbende Mann, der nachts in seinem Krankenhausbett aufwachte und dachte, Bitte mach, dass das nicht wahr ist, bitte mach, dass das nicht wahr ist, sondern teilweise wieder der Mann, der Bananen ins Tiefkühlfach packte, sie dann auf dem Tresen zerschlug und flüssige Schokolade über die Trümmer goss, der Mann, der einmal bei einem Unwetter draußen vor einem Klassenzimmerfenster gestanden hatte, um zu sehen, wie Jodi mit dem kleinen rothaarigen Scheißer klarkam, der ihr am Büchertisch Probleme gemacht hatte, der Mann, der an der Uni Futterhäuschen für Vögel bemalte und am Wochenende in Boulder verkaufte, dabei einen Narrenhut trug und einen Jongliertrick vorführte, mit dem er –
    Er drohte wieder hinzufallen, fing sich ab, erstarrte in einer gebückten Haltung, stürzte vornüber, klatschte aufs Gesicht, schlug sich das Kinn an einer Wurzel auf.
    Man musste lachen.
    Man musste beinahe lachen.
    Er rappelte sich auf. Rappelte sich beharrlich auf. Seine rechte Hand ein blutiger Handschuh. Dumm gelaufen, harter Mann. Einmal hatte beim Football ein Zahn dran glauben müssen. Später, in der Halbzeit, hatte Eddie Blank den Zahn gefunden. Er hatte ihn Eddie abgenommen und weggeschmissen. Auch das war typisch für ihn.
    Hier war die Spritzkehre. Jetzt war’s nicht mehr weit. Spitzkehre.
    Was tun? Wenn er hinkam? Den Jungen aus dem Teich schaffen. Und wegschicken. Den Jungen durch den Wald, über den Fußballplatz und zu einem der Häuser an der Poole Street bugsieren. Wenn niemand zu Hause war, den Jungen in den Nissan stecken, Heizung voll aufdrehen, und dann – ins Mater Dolorosa? In die Notaufnahme? Der schnellste Weg zur Notaufnahme?
    Noch fünfzig Meter bis zum Anfang des Pfades.
    Noch zwanzig Meter bis zum Anfang des Pfades.
    Danke, Gott, für meine Stärke.
    Im Teich bestand er nur noch aus animalischen Impulsen, keine Worte, kein Ich, blinde Panik. Er beschloss, es richtig zu versuchen. Er griff nach der Kante. Die Kante brach ab. Er ging unter. Er traf auf Schlamm und stieß sich ab. Er griff nach der Kante. Die Kante brach ab. Er ging unter. Es hätte doch einfach sein müssen, da rauszukommen. Aber er schaffte es einfach nicht. Wie beim Jahrmarkt. Es müsste einfach sein, drei Hunde aus Sägespänen von einer Leiste zu ballern. Und es war auch einfach. Nur halt nicht mit der Anzahl von Bällen, die man dafür bekam.
    Er wollte ans Ufer. Er wusste, dass das der richtige Ort für ihn war. Aber der Teich sagte immer weiter nein.
    Dann sagte er vielleicht.
    Die Eiskante brach wieder ab, aber beim Abbrechen zog er sich ein winziges bisschen näher ans Ufer heran, und seine Füße trafen schneller auf den Schlamm, als er dieses Mal unterging. Das Ufer war abschüssig. Plötzlich gab es Hoffnung. Er wurde wild. Er drehte total durch. Dann war er draußen, das Wasser strömte an ihm herab, ein Stück Eis stak in seinem Mantelärmel wie eine kleine Glasscherbe.
    Trapezoid, dachte er.
    In seinem Kopf war der Teich nicht endlich und kreisförmig und hinter ihm, sondern unendlich und allumschließend.
    Er hatte das Gefühl, er sollte besser still liegen, sonst würde das, was ihn gerade hatte umbringen wollen, einen weiteren Versuch starten, es war nämlich nicht nur im Teich, sondern auch hier draußen, in jedem natürlichen Ding. Hier gab es weder ihn noch Suzanne, noch Mom, gar nichts außer dem lauten Schluchzen eines Jungen, das sich anhörte wie ein Baby unter Schock.
    Eber humpeltrappelte aus dem Wald und fand: keinen Jungen. Nur schwarzes Wasser. Und einen grünen Mantel. Sein Mantel. Sein früherer Mantel, da draußen auf dem Eis. Das Wasser beruhigte sich schon wieder.
    O Scheiße.
    Deine Schuld.
    Der Junge war nur wegen –
    Am Ufer lag neben einem umgedrehten Boot irgendein Ignorant. Mit dem Gesicht nach unten. Bei der Arbeit. Legt sich bei der Arbeit hin. Muss auch schon dagelegen haben, als der arme Junge –
    Halt, zurückspulen.
    Es war der Junge. Oh, Gott sei Dank. Bäuchlings, wie die Leichen auf den Matthew-Brady-Fotos aus dem Bürgerkrieg. Beine immer noch im Wasser. Als hätte ihn beim Herauskrabbeln die Kraft verlassen. Der Junge war durchgeweicht, der weiße Mantel war grau von der Feuchtigkeit.
    Eber zerrte den Jungen heraus. Dazu brauchte es viermal einen heftigen Ruck. Er hatte nicht die Kraft, ihn
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