Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition)
Autoren: George Saunders
Vom Netzwerk:
hochschleppen will, denn mit dieser Steigung ist der nicht gerade meine Kragenweite, sagte Robin.
    Das ist wohl die Definition von »Held«, sagte Suzanne.
    Ja, ist sie wohl, sagte er.
    Ich will ja nicht unverschämt sein, sagte sie. Aber es sieht so aus, als würde der Abstand zwischen euch immer größer.
    Was schlägst du vor?, sagte er.
    Bei allem Respekt, sagte sie, und da ich weiß, dass du uns als verschieden, aber gleichwertig betrachtest, wobei ich eher für Hirn und Spezialerfindungen und so was alles zuständig bin?
    Ja, ja, sprich weiter, sagte er.
    Na ja, wenn ich jetzt nach den Regeln simpler Geometrie die ganze Sache durchrechne –
    Er begriff, worauf sie hinauswollte. Und sie hatte durchaus recht. Kein Wunder, dass er sie liebte. Er musste quer über den Teich abkürzen, was den Umgebungswinkel verringern, ergo wertvolle Sekunden Aufholzeit einsparen würde.
    Moment, sagte Suzanne. Ist das gefährlich?
    Nein, sagte er. Das habe ich schon oft gemacht.
    Bitte sei vorsichtig, flehte Suzanne.
    Na ja, einmal, sagte er.
    Du bist so souverän, wandte Suzanne ein.
    Ehrlich gesagt, noch nie, sagte er leise, da er sie nicht beunruhigen wollte.
    Deine Tapferkeit ist brachial, sagte Suzanne.
    Er setzte sich in Bewegung, über den Teich.
    Es war eigentlich ziemlich cool, auf dem Wasser zu gehen. Im Sommer schwammen hier Kanus. Wenn Mom ihn sehen könnte, würde sie einen Anfall kriegen. Mom behandelte ihn, als wäre er aus Glas. Wegen seiner angeblichen Operationen als Kleinkind. Sie war schon auf Alarmstufe Rot, wenn er zwei Blatt Papier zusammenheften wollte.
    Aber Mom war eine gute Haut. Eine verlässliche Ratgeberin und stetige Führungshand. Sie hatte einen üppigen Schwall langer silberner Haare und eine raue Stimme, obwohl sie gar nicht rauchte und sogar Veganerin war. Sie war nie eine Bikerbraut gewesen, obwohl ein paar der schulinternen Dummbolzen behaupteten, sie sähe wie eine aus.
    Eigentlich mochte er Mom ganz schön.
    Jetzt war er zu zirka drei Vierteln drüben, das entsprach so etwa sechzig Prozent.
    Zwischen ihm und dem Ufer lag ein gräulicher Flecken. Im Sommer mündete hier ein Bach. Sah ein bisschen fragwürdig aus. Am Rand des gräulichen Fleckens verpasste er dem Eis ein Boing mit dem Kolben seines Gewehrs. Es war fest wie nur was.
    Also weiter. Das Eis bewegte sich ein bisschen unter seinen Füßen. Wahrscheinlich war es hier drunter nicht tief. Hoffte er jedenfalls. Urgs.
    Wie läuft es?, fragte Suzanne zaghaft.
    Könnte besser sein, sagte er.
    Vielleicht solltest du umkehren, sagte Suzanne.
    Aber mussten sich nicht alle Helden schon früh in ihrem Leben genau diesem Gefühl der Angst aussetzen? Und war nicht gerade der wahrhaft Tapfere imstande, dieses Gefühl der Angst zu überwinden?
    Umkehr kam nicht in Frage.
    Oder doch? Vielleicht doch. Vielleicht war es nicht mal eine Frage.
    Das Eis gab nach, und der Junge fiel durch.
    Brechreiz war in Die Steppe der Demut nicht vorgekommen.
    Ein Gefühl der Glückseligkeit überkam mich, als ich am Rand der Gletscherspalte in den Schlaf sank. Keine Angst, kein Unwohlsein, nur eine vage Trauer über all das, was unerledigt bleiben würde. Das soll der Tod sein?, dachte ich. Es ist nur ein Nichts.
    Autor, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann, auf ein Wort.
    Du A-Loch.
    Das Zittern war der Wahnsinn. Wie ein Tremor. Sein Kopf wackelte auf dem Hals. Er hielt inne, um ein bisschen in den Schnee zu kotzen, gelblichweiß vor dem Bläulichweiß.
    Das war gruselig. Echt gruselig jetzt.
    Jeder Schritt war ein Sieg. Das durfte er nicht vergessen. Mit jedem Schritt floh er veiter und veiter. Veiter veg von den Vätern. Stiefveiter. Welch einen Sieg entrang er. Dem klaffenden Schlund darniederlag.
    Hinten in seiner Kehle spürte er ein Bedürfnis, es richtig zu sagen.
    Dem klaffenden Schlund der Niederlage. Dem klaffenden Schlund der Niederlage.
    Oh, Allen.
    Selbst als du DAS DA warst, warst du für mich immer noch Allen.
    Das sollst du wissen.
    Hingefallen , sagte Dad.
    Eine Zeitlang wartete er, um zu sehen, wo er landen und wie weh es tun würde. Dann hatte er einen Baum im Bauch. Er stellte fest, dass er sich in fötaler Position um einen Baum geschlungen hatte.
    Scheißdreck.
    Autsch, autsch. Das war zu viel. Nach den Operationen oder während der Chemo hatte er nicht geweint, aber jetzt hätte er es gern getan. Das war nicht fair. Angeblich kam für jeden irgendwann der Moment, aber jetzt kam er gerade ganz konkret für ihn. Er hatte immer auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher