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Zehn (German Edition)

Zehn (German Edition)

Titel: Zehn (German Edition)
Autoren: Franka Potente
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dem Eisfach. Dann schnitt sie Tofu in Würfel und gab einige Spritzer Sojasoße zu der brodelnden Suppe.  
    Die Fenster der kleinen Küche beschlugen, und Frau Nishkis Wangen röteten sich. So angenehm warm war ihr lange nicht gewesen.  
    Den ganzen Tag über war sie vergnügt. Sie ordnete alte Fotos, die sie in Schachteln im Wohnzimmer fand, fegte vor dem Haus, stopfte einige Socken und las eine alte Zeitung. Hin und wieder rührte sie den Eintopf um. Es war später Abend, als der Lachsbauch schnittfertig war. Müde schnitt sie den Fisch in dünne Scheiben, die sie dann in den Topf plumpsen ließ. Es roch köstlich. Nun musste der Eintopf auf kleiner Flamme über Nacht ziehen. Nachdenklich sah sie der Suppe eine Weile zu, wie sie heiße Blasen warf.  
    Sie würde am Morgen früh aufstehen, noch bevor Frau Kumagai kam, und ein paar Sachen packen.  
    Auch in dieser Nacht schlief sie auf dem Heizteppich ein. Mitten in der Nacht jedoch erwachte sie. Geweckt von heftigen Schmerzen in der Brust.  
    Sie stand langsam auf und rieb sich das Herz, dann ging sie ein paar Schritte, schaltete das Licht ein.  
    Die Küche war noch warm. Sie atmete tief durch, langsam ließen die Schmerzen nach. Der Eintopf dampfte leicht und erfüllte die ganze Küche mit seinem Duft. Früher hatte dieser Duft die Kinder und ihren Mann in die Küche gelockt. Sie hatten gemeinsam gegessen, der Mann hatte mit den Kindern Scherze gemacht, und oft war der ganze Topf geleert worden.  
    Vorsichtig hob sie den Deckel an, der Eintopf, den sie so oft für ihren Mann gemacht hatte, war fertig.  
    Wieder durchfuhr sie ein stechender Schmerz, der ihr fast die Tränen in die Augen trieb.  
    Sie vermisste ihn. Bisher hatte sie sich nicht erlaubt, diesen Gedanken zu denken. Sie vermisste ihn schrecklich.  
    Vorsichtig nahm sie eine Suppenschale aus dem Schrank. Es war ein besonderes Porzellan aus Kyoto, Hiroji hatte ihr die Schale vor Jahren mitgebracht, eigentlich benutzte sie sie nur an Feiertagen.  
    Frau Nishki atmete jetzt ruhiger. Füllte die Schale mit dampfendem Eintopf. Alle Zutaten hatten ihren Geschmack entfaltet, die dunkle, kräftige Färbung war genau richtig. Er schmeckte köstlich. Hiroji wäre stolz auf sie gewesen.  
    Sie schaltete Kotatsu und Heizteppich aus und legte sich in ihrem Schlafzimmer ins Bett. Auf Hirojis Seite. Den würzig warmen Eintopf im Bauch schlief sie sofort ein.  
    Als Frau Kumagai am nächsten Morgen klopfte, öffnete Frau Nishki noch im Pyjama.  
    »Verzeihen Sie, liebe Freundin«, sagte sie mit einer tiefen Verbeugung. »Ich kann Sie leider nicht begleiten.«  
    Frau Kumagai sah sie traurig an, natürlich machte sie ihr keine Vorwürfe, aber sie schien auf eine Erklärung zu warten.  
    »Die heißen Quellen sind nicht gut für mein Herz.«  
    Frau Kumagai nickte besorgt: »Sie müssen sich nicht erklären, ich habe vollstes Verständnis. Ich bedaure natürlich Ihre Lage …« Frau Kumagai zögerte. Dann verbeugte sie sich und fragte leise, in die Verbeugung hinein: »Verzeihung, was ist denn mit Ihrem Herzen?«  
    Frau Nishki lächelte und gab ebenso leise zurück: »Es ist gebrochen.«  

 
    VIELE GÖTTER  
    W o war nur das verflixte Reiskorn hingefallen?  
    Er blickte an sich hinunter.  
    Auf dem schwarzen, frisch gebügelten Anzug war nichts zu sehen. Auch die Tischplatte blitzte unschuldig. Er rutschte leicht zur Seite und suchte unter dem Tisch. Nichts.  
    Er meinte, er hätte es fallen sehen.  
    An so einem Tag wie heute war das wichtig. Besonders wichtig. Er hatte in einer Stunde sein Bewerbungsgespräch.  
    Man sagt, in jedem Reiskorn wohnen viele Götter! Du musst jedes Reiskorn mit Respekt behandeln!  
    In seiner Familie war nie ein Reiskorn verloren gegangen oder achtlos auf die Erde gefallen. Und nun, an seinem wichtigen Tag …  
    Er schwitzte leicht, löste den engen Knoten der Krawatte. Heute früh hatte er gegoogelt, wie man eine Krawatte bindet. Windsorknoten oder Prince Albert? Bisher hatte er das nie machen müssen.  
    Außer ihm war niemand zu Hause gewesen. Die Mutter arbeitete Nachtschichten und war noch nicht nach Hause gekommen.  
    Er hatte noch vor dem Shintô-Schrein im Wohnzimmer um ein gutes Gelingen gebeten, danach kniete er kurz vor dem kleinen Buddha-Altar im Zimmer seiner Mutter, man kann ja nie wissen. Er wollte diesen Job unbedingt.  
    Es wurde Zeit für eine eigene Wohnung. Er wollte eine Freundin, er musste Geld verdienen, auf eigenen Füßen stehen. Von
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