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Zehn (German Edition)

Zehn (German Edition)

Titel: Zehn (German Edition)
Autoren: Franka Potente
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prasselte herunter, und Frau Michi stand mitten in der Nacht auf, um das Fenster zu schließen. War das der Kamikaze? Sie brauchte lange, um wieder einzuschlafen. Irgendwo schlug ein Fensterladen gegen die Häuserwand.  
    Am nächsten Morgen regnete es immer noch, aber der Wind hatte etwas nachgelassen. Sie zog ihre Gummistiefel an, als sie zum Geschäft ging, und setzte ein Kopftuch auf. Menschen mit Regenschirmen eilten die Straße entlang, Kinder spielten in Pfützen, und nasse Hunde suchten einen Unterstand.  
    Es war kalt im Laden. Und es tropfte von der Decke. Eilig holte sie einen Eimer aus der kleinen Abstellkammer. Es tropfte auf eine der beiden Vitrinen. Zum Glück war keiner der Fächer nass geworden. Sie borgte sich im Kimonoladen eine kleine Leiter. Frau Kim schaute vorwurfsvoll: »Ich habe Sie lange nicht gesehen. Wie gehen die Geschäfte?«  
    Sie unterhielten sich kurz über das Wetter, dann eilte Frau Michi mit der Leiter zurück in ihren Laden. Es stürmte und regnete jetzt wieder so heftig, dass sie schon nach wenigen Metern durchnässt war.  
    Vorsichtig schob sie einige Kartons beiseite und stellte die Leiter auf. Nun konnte sie die Pfütze aufwischen, die sich oben auf dem Vitrinenschrank gebildet hatte. Der Schrank war mindestens fünfzig Jahre alt, und das Holz war über Nacht aufgeweicht.  
    Die Glocke läutete, und ein Kunde mit Regenschirm trat ein.  
    »Konnichi wa!« Es war der Herr aus dem Fernsehen. Herr Schreiber. Sein Schirm hatte sich nach außen gestülpt.  
    Er verbeugte sich höflich. »Was für ein Wetter! Ich bin um ein Haar weggepustet worden.«  
    Fast wäre Frau Michi von der Leiter gefallen, als sie eine Verbeugung versuchte.  
    Er eilte zu ihr und reichte ihr seinen Arm: »Darf ich Ihnen helfen?«  
    Frau Michi erschrak, seine Geste kam überraschend. Sie hielt sich an der Leiter fest und stieg vorsichtig herunter. »Danke, es geht schon.«  
    Der Gaijin trug heute eine Windjacke über seinem Jackett. Seine Wangen waren gerötet. Frau Michi bemühte sich, ihn nicht zu offensichtlich anzusehen. Herr Schreiber stellte seinen Schirm ab und strich sich über das Haar. »Ich wollte mir noch in Ruhe Ihre Fächer ansehen. Gestern war leider nicht genug Zeit.« Gerade als Frau Michi ihn ermuntern wollte, sich umzusehen, gab es einen lauten Schlag.  
    Der Wind war stärker geworden, und ein aus der Verankerung gerissener Mülleimer war gegen das Schaufenster geschleudert worden. Frau Michi entfuhr ein kleiner Schrei. Auch Herr Schreiber erschrak. Die Fensterscheibe hatte einen kleinen Sprung.  
    Herr Schreiber hastete zur Tür, die sich kaum öffnen ließ, so stark drückte der Sturm dagegen. Der Metallmülleimer schlug gegen den Türrahmen.  
    Herr Schreiber musste die Tür ganz öffnen und einige Schritte auf die Straße hinaus tun, um ihn zu fassen zu kriegen. Frau Michi stand erstarrt im Laden und sah zu.  
    Der Wind heulte auf, als er die Tür hastig schloss. Den geretteten Mülleimer legte er in eine Ecke. »Puuh, das war knapp. Ich nehme an, das ist nun der ›Kamikaze‹, vor dem mich meine japanischen Kollegen gewarnt haben?«  
    Frau Michi brachte ihm ein kleines Handtuch. Sein Gesicht war nass vom Regen. Sie überlegte. »Ich muss die Rollläden herunterlassen, sonst gehen noch die Fenster kaputt!«  
    Herr Schreiber half ihr.  
    Der Sturm fegte durch die kleine Straße, man hörte laute Rufe, Türenschlagen und das Prasseln des Regens. Im Laden war es recht still. Und dunkel. Frau Michi zündete die kleine Öllampe an, es war eine Frage der Zeit, wann der Strom ausfallen würde. Herr Schreiber zog seine nasse Windjacke aus: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich meine Jacke zum Trocknen aufhänge?«  
    Frau Michi nahm ihm die Jacke ab und hängte sie über einen Stuhl. Kurz war sie unschlüssig. »Möchten Sie einen Tee?«  
    Er nickte. »Gerne. Es scheint, als hätten wir ein bisschen Zeit, die Fächer anzusehen.«  
    Sie setzte Teewasser auf. Als sie sich ihm wieder zuwandte, hielt er den Spatzenfächer aus der Meiji-Zeit in den Händen, der drei Spatzen auf einem Bambuszweig zeigte.  
    Das Reispapier war cremefarben eingefärbt, die Tusche schon etwas verblasst. Der Kontrast des zarten Rosa mit dem Dunkelgrün des Bambuszweiges war wunderschön. Er gab ihr vorsichtig den Fächer zurück, und sie hielt ihn gegen das Licht der Lampe.  
    »Das ist mein Lieblingsfächer. Eigentlich war er immer nur ein Ausstellungsstück. Meine Mutter sagte immer:
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