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ZECKENALARM IM KARPFENLAND

ZECKENALARM IM KARPFENLAND

Titel: ZECKENALARM IM KARPFENLAND
Autoren: Werner Rosenzweig
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Sache ging. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Er war sehr zuversichtlich, dass alles so kommen würde, wie er sich das vorstellte. Das Schöne war, es gab noch kein wirksames Gegenmittel gegen die kleinen Killerviren. Die Medizin war noch nicht so weit. Herrlich!
    Gedankenvoll betrachtete er das riesige, zweckentfremdete Aquarium, welches auf einem Sideboard seines Arbeitszimmers stand. Er hatte den Boden mit Blumenerde aufgefüllt und eine Mini-Wiese angesät, welche er regelmäßig goss. Gelbe Butterblumen blühten in dem Gefäß. Selbst der Sauerampfer gedieh. Die klimatischen Verhältnisse in dem Glasgefäß sollten immer schön feucht-warm sein. Das gefiel seinen blutgierigen Lieblingen. Er konzentrierte seinen Blick auf die Grashalme. Dort saßen sie, seine infizierten kleinen Killer mit den rot-gelb geringelten Beinen, und vermehrten sich fleißig. Einige von ihnen hatten einen dicken Hinterleib, vollgesogen mit Meerschweinchenblut.
    Geistesabwesend griff er in einen Käfig, der auf dem Fensterbrett stand. Darin züchtete er die kleinen, possierlichen Nager, welche vorübergehend als Nahrungsquelle für seine blutgierigen Minimonster herhalten mussten. Er griff sich eines der Tiere. Es hatte ein wunderschönes, zotteliges braun-weißes Fell und sah ihn mit seinen dunklen Knopfaugen ängstlich an. Dann hob er den Deckel, welchen er über das Aquarium gelegt hatte, kurz an und setzte das Meerschweinchen auf der kleinen Wiese aus. Seine kleinen Zecken hatten stets einen unbändigen Blutdurst. Es sollte ihnen gut gehen. „Vermehrt euch! Ich habe noch Großes mit euch vor!“, raunte er ihnen leise zu, bevor er das Aquarium wieder abdeckte.
Erlangen, Bohlenplatz, Mittwoch, 27. Juni 2012
    Kuno Seitz saß auf einer Bank und sah den flanierenden Fußgängern nach. Mütter mit Kinderwägen, die ihren Schützlingen in der Babysprache liebevoll zuredeten. Geschäftsleute, die schnellen Schrittes über den Platz hasteten, ihre Mobiltelefone ständig am Ohr, und mit ihren Gesprächspartnern offensichtlich Wichtiges zu bereden hatten. Glaubten sie jedenfalls. Dann waren da noch die Schülergruppen, welche sich lautstark darüber unterhielten, wie hoch Deutschland Italien im EM-Fußball-Halbfinale schlagen würde, sowie die Rentner, die gemächlichen Schrittes vor seiner Bank dahin schlurften, einige einen Rollator vor sich her schiebend oder zumindest auf einen Stock gestützt.
    Es war etwas windig. Das Wetter wusste nicht so recht, was es wollte. Mal war es wolkig und bedeckt, wenige Minuten später strahlte die Sonne von einem blauen Himmel. Für die nächsten Tage waren Temperaturen um die dreißig Grad vorhergesagt.
    Kuno Seitz biss herzhaft in seinen Apfel, den er sich als Nachtisch aufgehoben hatte. Vor zwanzig Minuten war er noch in der Raumerstraße 9, ganz in der Nähe vom Bohlenplatz, angestanden. Dort, wo die Erlanger Tafel jeden Mittwoch Essen an hilfsbedürftige Menschen und an die Obdachlosen dieser Stadt ausgibt. Innerhalb weniger Jahre war er ganz, ganz tief gesunken. Alles was er heute noch besaß, passte in einen ausrangierten Einkaufswagen. Das ramponierte Gefährt stand neben ihm, seitlich an der Bank abgestellt. Niemand beachtete ihn. Gelegentliche, neugierige Blicke huschten schnell wieder weg, wenn er den Beobachtern ins Gesicht sah. Kein Wunder, bei seinem ungepflegten Erscheinungsbild. Mit seinen achtunddreißig Jahren war er bereits erstaunlich schnell ergraut. Seine langen, fettigen Haare klebten an seinem Kopf und aus seinem mit einem wirren Vollbart umrahmten Gesicht stierte ein unstetes, eisgraues Augenpaar, welches beidseitig über einer rot geäderten Hakennase tief in den Augenhöhlen lag. Sein Mund war breit, von zwei wulstigen Lippen dominiert. Alles in allem hinterließ er nicht gerade einen vertrauenserweckenden Eindruck. So manches Kind, welches von seiner Mama an der Hand geführt wurde, drehte sich zu ihm um, deutete mit dem Finger auf ihn und klärte seine Mutter auf: „Schau Mama, böser Onkel!“ „Psst! So was sagt man nicht“, oder „Komm jetzt, man zeigt nicht mit dem Finger auf andere Leute!“, waren häufig die peinlich berührten Antworten.
    Er verstand die Kinder. Er brauchte sich nur selbst zu betrachten. Alleine seine Kleidung hinterließ einen schäbigen Eindruck. Sein jägergrünes Jackett – sein einziges –, welches er winters wie sommers trug, war abgetragen und mit dunklen Rotweinflecken besprenkelt. Die Ärmel waren an den Ellenbogen abgewetzt, und
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