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ZECKENALARM IM KARPFENLAND

ZECKENALARM IM KARPFENLAND

Titel: ZECKENALARM IM KARPFENLAND
Autoren: Werner Rosenzweig
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öfter und in immer kürzeren Abständen zankten sich die Eheleute. Als im Jahr 2007 gegen den Arbeitgeber von Kuno Seitz schwere Vorwürfe wegen gezielter, weltweiter Korruption erhoben und entsprechende Ermittlungen eingeleitet wurden, geriet auch er in die Mühlräder der Justiz. Die von der neuen Firmenleitung beauftragten, investigierenden amerikanischen Anwälte wiesen ihm anhand eines Berges von seiner Festplatte kopierter Dokumente gezielte Bestechung südamerikanischer Politiker nach. Die Sachlage war eindeutig. Kuno Seitz, der glaubte, sich stets zu mehr als einhundert Prozent für die Interessen seines Arbeitgebers eingesetzt zu haben, gab alle Verfehlungen zu. Siemens kündigte ihm. Die Justiz leitete ein Strafverfahren gegen ihn ein. Mit drei Jahren Haft auf Bewährung kam er noch glimpflich davon. Am schwersten wog für ihn jedoch, dass seine Frau die Scheidung einreichte. Es folgte ein kurzer, aber erbarmungslos geführter Rosenkrieg. Im Jahr 2010 stand er mittellos auf der Straße, ohne Aussicht darauf, jemals wieder in ein normales Leben zurückzukehren. Die Geldstrafe, welche ihm das Gericht auferlegt hatte, und die Konsequenzen der Scheidung fraßen alle seine Vermögenswerte auf. Wie oft dachte er seitdem daran, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch je länger und intensiver er darüber nachdachte, desto schneller verließ ihn der Mut, diesen Schritt auch tatsächlich zu vollziehen. Er führte nunmehr ein Leben, welches nur noch im Suff zu ertragen war. In seiner trostlosen und ausweglosen Situation dachte er häufiger darüber nach, wer wohl seine leibliche Mutter sein könnte. Lebte sie noch? Wo lebte sie? Wie ging es ihr heute? Dachte sie noch manchmal an ihren Sohn, den sie im Säuglingsalter in fremde Hände gab? Wenn sie damals siebzehn war, musste sie heute fünfundfünfzig sein. Kein Alter! Vielleicht suchte sie nach ihm und hatte ihren Schritt von damals längst bereut? Sollte er sich vielleicht doch auf die Suche nach ihr begeben? Doch wo sollte er beginnen? Was, wenn er sie finden würde? Er, ein Obdachloser! Er verwarf den Gedanken immer wieder.
    „Ist hier noch ein Platz frei?“ Ein adrett gekleideter Mann, deutlich jünger als er, blickte durch seine modische schwarze Hornbrille freundlich auf ihn herab. „Wenn Sie meine Erscheinung nicht stört. Bitte schön!“ „Ein komisches Wetter heute“, kommentierte der Ankömmling, ohne auf die indirekte Frage einzugehen. Stattdessen bot er Kuno eine Marlboro an. Mit seinen schmutzigen Fingernägeln fingerte der Obdachlose in der Zigarettenschachtel herum. „Danke, sehr freundlich.“ Dann rauchten die beiden schweigsam ihre Glimmstängel. Nach einer halben Stunde und einer zweiten Zigarette begann Kuno Seitz, dem Fremden die Geschichte seines Lebens zu erzählen.
Röttenbach, Kirchgasse, Donnerstag, 28. Juni 2012
    Kunigunde Holzmann und Margarethe Bauer, die beiden fränkelnden Röttenbacher Urgesteine und langjährigen Busenfreundinnen saßen in Kunnis Küche und beratschlagten, wie sie ihre bevorstehenden achtzigsten Geburtstage ordentlich feiern sollten. „Do lass mer scho an grachn“, meinte die Retta im Brustton der Überzeugung, „su ald wird ka Sau.“ Dritte im Bunde war Theresa Fuchs, die rüstige Nachbarin aus der Lindenstraße, und zwei Jahre jünger als die beiden angehenden Jubilare. Genau wie Kunni und Retta war auch die Fuchsn Deres bereits langjährige Witwe. Doch im Unterschied zu den beiden Geburtstagskindern hatte sie noch direkte Familienbeziehungen ersten Grades im Dorf. Ihr Sohn Bruno und seine Frau Julia, ebenso eine gebürtige Röttenbacherin, wohnten drüben, im Neubaugebiet „Bucher Weg“. Julia war zwar schon einmal verheiratet gewesen, mit einem Amerikaner, und hatte in der Nähe von Dallas gelebt, doch drei Jahre nach ihrer Eheschließung und nur ein Jahr nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Michael schlug das Schicksal unbarmherzig zu: John Hausman, ihr erster Mann, verstarb überraschend an Krebs. Glücklicherweise war John Hausman kein armer Mann, sondern ein sehr erfolgreicher Immobilienmakler. Er hinterließ seiner Frau Sachwerte wie das gemeinsame Haus, zwei Autos, ein ansprechend wertvolles Aktienpaket sowie ein Barvermögen von knapp über drei Millionen US-Dollar. Als gemachte Partie kehrte Julia Hausman, geborene Sapper mit ihrem Söhnchen Michael 1983 wieder in ihre fränkische Heimat Röttenbach zurück. Sechs Jahre später, im September 1989, heiratete sie Bruno Fuchs, Theresas Sohn.
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