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ZECKENALARM IM KARPFENLAND

ZECKENALARM IM KARPFENLAND

Titel: ZECKENALARM IM KARPFENLAND
Autoren: Werner Rosenzweig
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die drei Knopflöcher waren ausgerissen. Egal, Knöpfe waren sowieso längst nicht mehr dran. Das gelbe Baumwollhemd, welches er trug, war seit Monaten nicht mehr gewaschen worden und stank nach seinen Körperausdünstungen. An den Knien seiner schwarzen Jeans klafften taubeneigroße Löcher, und die Zähne des einzigen Reißverschlusses waren zur Hälfte nicht mehr existent. Die Sohlen seiner Sportschuhe mit den drei Riemen schließlich, welche er aus einem Mülleimer gezogen hatte, waren durchgelaufen, und wann immer es regnete, bekam er nasse Füße.
    Nachdem er seinen Apfel ratzebutz aufgegessen hatte, stierte er vor sich hin und dachte – wie so oft in letzter Zeit – über sein bisheriges Leben nach. Alles war so schnell gegangen. Der Absturz kam wie aus heiterem Himmel. Er hatte eine glückliche Jugend verbracht. Seine Eltern, Georg und Doris Seitz, kümmerten sich rührend um ihn. Sie lasen ihm jeden Wunsch von den Augen ab, halfen ihm während der Schulzeit beim Lernen und hatten großes Verständnis, wenn er mal eine Dummheit begangen hatte. Kurzum, sie waren immer für ihn da. Kaum hatte er am Albert-Schweitzer-Gymnasium ein gutes Abitur abgelegt und gerade mit seinem Jura-Studium begonnen, erlitt er den ersten schweren Schicksalsschlag. Im Jahr 1994 kamen seine Eltern nicht mehr von einem Urlaub in Tirol zurück. Ein Lkw war bei heftigem Regen in der Nähe der österreichischen Ortschaft Schwaz auf dieGegenfahrbahn geraten. Seine Eltern hatten nicht die geringste Chance. Ungebremst rasten sie mit ihrem Mini-Van in den schweren Lastzug. Vater und Mutter waren sofort tot. In ihrem Testament hinterließen sie ihm nicht nur das kleine Einfamilienhaus in der Schallershofer Straße, ganz in der Nähe des Freibads West, sondern auch eine höchst merkwürdige Überraschung. In einem handgeschriebenen, herzzerreißenden Brief klärten sie ihn darüber auf, dass er gar nicht ihr leiblicher Sohn sei, sondern dass sie ihn im Alter von sechs Monaten adoptiert hätten, da sie selbst keine Kinder bekommen konnten. Noch im Tod warben sie um sein Verständnis, dass sie ihm niemals darüber berichtet hatten, und baten ihn, auch jetzt, nachdem er die Wahrheit erfahren hatte, keine Nachforschungen nach seinen wirklichen Eltern anzustellen. Seine leibliche Mutter war gerade mal siebzehn Jahre alt, als sie ihn geboren hatte, schrieben sie und versuchten in weiteren detaillierten Erläuterungen, deren damalige Lebenssituation und ihre Gründe für die Weggabe des Kindes nachträglich zu entschuldigen. Einen Hinweis auf seine leibliche Mutter gaben sie ihm nicht. Selbst seine Abstammungsurkunde fehlte in dem Familienbuch, welches sie ihm. So lieb sie sich auch immer um ihn gekümmert hatten, so ärgerte er sich doch im Nachhinein über ihre Heimlichtuerei und ihr Fehlverhalten ihm gegenüber.
    Kaum dass er seine Adoptiveltern unter die Erde gebracht hatte, brach er sein Jura-Studium ab. Er musste Geld verdienen. Es war absehbar, wann das bescheidene Barvermögen, welches sie ihm vererbten, aufgebraucht sein würde. Doch er war ehrgeizig. Er würde es schaffen. Noch im gleichen Jahr, er war gerade zwanzig, begann er bei Siemens eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Seine interne Firmenabschlussprüfung schaffte er mit einer glatten Eins und wurde sofort in den Kreis der förderungswürdigen Jungkaufleute aufgenommen. Während seiner Ausbildungszeit lernte er Lisa Probst kennen, ebenfalls eine Auszubildende, ein Ausbildungsjahr nach ihm. Die beiden jungen Leute verliebten sich ineinander, schworen sich ewige Treue und Liebe und traten 1997 vor den Traualtar. Die ersten drei Ehejahre waren ein einziger Traum, bis Jens geboren wurde. Zwei Jahre später, im Jahr 2002, kam Töchterchen Tina zur Welt. Während ihr Ehemann im Laufe der Jahre eine steile Firmenkarriere hinlegte, kümmerte sich Lisa Seitz um den Haushalt und die Erziehung der gemeinsamen Kinder. Kuno kam immer später nach Hause, und immer öfter und immer länger war er auf Dienstreisen. Bald fiel Lisa die Decke auf den Kopf. Sie fühlte sich ungerecht behandelt. Es war niemals ihr Lebensziel gewesen, die Rolle einer Putzfrau einzunehmen, drei Mal am Tag Kinderwindeln zu wechseln, zu waschen, zu bügeln und stets ein warmes Essen auf dem Herd zu haben, wenn der Herr des Hauses sich gnädigerweise bequemte, spät am Abend zu Hause zu erscheinen, und nach dem gemeinsamen, wortkargen Abendessen zu gähnen begann. Langsam erlosch die große, gegenseitige Liebe. Immer
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