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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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dem Messer Lunge und Herz durchbohrt,
    und als wäre das noch nicht genug, schnitt er ihr danach so gewaltsam die Kehle durch, dass er beinahe den Kopf vom Rumpf trennte. Darauf
    kehrte er in die Küche zurück und strich sich mit dem Messer, mit dem er seine Mutter getötet hatte, ein Brot. Dann duschte er und ging zu Bett.
    Am nächsten Morgen fuhr er zur Schule und brüstete sich vor seinen
    Mitschülern mit der Tat. Einer der jungen Leute rief schließlich die Polizei an.«
    Der Staatsanwalt fuhr fort, die so genannten reinen Fakten des
    Verbrechens aufzuzählen. Er erinnerte die Geschworenen an die
    Zeugen, die bestätigt hatten, dass Constance Fisher vor ihrem Sohn Angst gehabt hatte; dass die Mordwaffe mit den Fingerabdrücken
    Douglas Bryants übersät gewesen war; dass seine Kleidung mit dem Blut seiner Mutter getränkt gewesen war. Eine schlichte Tatsache nach der anderen trug er vor, jede für sich schwer belastend,
    zusammengenommen erdrückend. Wie wollte Jake Hart nach diesem
    Szenario des Schreckens noch mildernde Umstände geltend machen?
    »Es klingt alles ziemlich eindeutig«, hörte Mattie ihren Mann sagen, als hätte er ihre Gedanken gelesen und spräche direkt zu ihr.
    Ihr Blick heftete sich auf ihn, als er aufstand, das Jackett seines konservativen blauen Anzugs bereits richtig geknöpft. Sie stellte mit Befriedigung fest, dass er ihren Rat befolgt und statt des blauen ein weißes Hemd gewählt hatte. Die burgunderrote Krawatte allerdings, die er dazu trug, hatte sie noch nie gesehen. Mit einem Lächeln, einem
    feinen Kräuseln der Oberlippe, das ein wenig an Elvis erinnerte , richtete er das Wort an die Geschworenen, ruhig und gedämpft, beinahe
    persönlich, wie das typisch für ihn war. Er vermittelte einem das Gefühl, der einzige Mensch im Raum zu sein, dachte Mattie beeindruckt,
    während sie beobachtete, wie sich jeder einzelne der Geschworenen,
    ohne sich dessen bewusst zu sein, von ihrem Mann in Bann ziehen ließ und ihm ungeteilte Aufmerksamkeit zollte. Die beiden Frauen rechts und links von Mattie rutschten erwartungsvoll auf der harten Holzbank unter ihren wohlgeformten Hinterteilen hin und her.
    Warum muss er nur so verdammt attraktiv sein , dachte Mattie , die genau wusste, dass Jake sein gewinnendes Äußeres niemals nur als Segen, sondern immer auch als Fluch empfunden und sich in den vierzehn
    Jahren seiner Tätigkeit als Anwalt nach Kräften bemüht hatte, es
    herunterzuspielen. Ihm war bekannt, dass viele seiner Kollegen ihm
    seine Erfolge neideten und die Auffassung vertraten, ihm wäre alles in den Schoß gefallen: das blendende Aussehen, die hervorragenden Noten, der Instinkt, der ihm riet, welche Fälle er annehmen und von welchen er lieber die Finger lassen sollte. Aber Mattie wusste, dass Jake so hart wie jeder andere in der Kanzlei arbeitete, vielleicht sogar härter. Jeden Morgen war er vor acht in seinem Büro und verließ es selten vor acht Uhr abends. Immer vorausgesetzt natürlich , er hielt sich tatsächlich in seinem Büro auf und nicht in einem Zimmer im Ritz-Carlton, dachte
    Mattie mit Bitterkeit.
    »So wie Mr. Doren die Dinge darstellt, erscheint in diesem Fall alles entweder schwarz oder weiß«, sagte Jake und rieb sich die schmale, hervorspringende Nase. »Constance Fisher war eine treu sorgende
    Mutter und loyale Freundin, von allen geliebt, die sie kannten. Ihr Sohn war ein Hitzkopf, der in der Schule nichts leistete und Abend für Abend in der Kneipe herumsaß und trank. Sie war eine Heilige, er war ihr
    Todfeind. Sie träumte von einem besseren Leben für ihren Sohn, er war der Albtraum jeder Mutter.«
    Jake machte eine Pause und sah zu seinem Mandanten hinüber, der
    kaum still sitzen konnte vor Unbehagen.
    »Das klingt einfach , ich gebe es zu.« Jake wandte sich wieder den Geschworenen zu. Mühelos gelang es ihm , sie in sein unsichtbares Netz zu ziehen. »Aber nichts ist so einfach , wie es aussieht. Das wissen wir doch alle.« Mehrere Geschworene lächelten zustimmend. »Und ebenso
    wissen wir, dass eine Mischung von Weiß und Schwarz Grau ergibt. Und dazu noch verschiedene Nuancen von Grau.«
    Jake drehte den Geschworenen den Rücken zu und ging in der
    ruhigen Gewissheit, dass die Blicke aller Geschworenen auf ihm ruhten , zu seinem Mandanten. Er hob die Hand und berührte die Schulter seines Mandanten. »Nehmen wir uns also ein paar Minuten Zeit , um die unterschiedlichen Nuancen von Grau zu prüfen. Geht das?« Er wandte
    sich wieder den
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