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Ysobel – Das Herz aus Diamant

Ysobel – Das Herz aus Diamant

Titel: Ysobel – Das Herz aus Diamant
Autoren: Marie Cordonnier
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leid seid, die sich in diesem Haushalt befinden? Nun, jetzt habt Ihr eine Edelfrau, die Euch diese Arbeit abnehmen kann. Sie ist nun Mitte Zwanzig und wird ohnehin keinen Ehemann mehr finden ...« So hatte er seine zänkische Gattin zu beruhigen versucht und sich wieder der Weinkaraffe zugewandt.
    Nur wenn er ununterbrochen Burgunder in sich hineinschüttete, gelang es ihm, die unheilvollen Ränke zu vergessen, deren Folgen er mehr fürchtete als das Feuer der Hölle. Aus dem tapferen Ritter aus Ysobels Kindertagen war ein schwacher, trunksüchtiger Seigneur geworden, der unter dem Seidenpantoffel einer Gemahlin stand, die sich ausschließlich um das eigene Wohl kümmerte.
    Dame Thilda dachte gar nicht daran, der ungeliebten jungen Verwandten auch nur eine Spur von Verantwortung zu übertragen. Sie ließ Ysobel die niedrigste Arbeit einer Dienstmagd tun und schikanierte sie, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bot. Nur in den seltensten Fällen gelang es Ysobel, zu verschwinden und sich wenige Stunden zu stehlen, die ihr allein gehörten.
    So gesehen war es ein Glück, dass in den Vorratskellern nicht mehr die Geschäftigkeit wie zu Zeiten ihrer Mutter herrschte. Ungesehen erreichte sie das Labyrinth der Geheimgänge, deren längster bis hinunter an die Klippen führte, wo der Blick über das Flussdelta und die Weite des Meeres bis zum fernen Horizont schweifte.
    Mit kindlichem Staunen hatte sie den Anblick, den Duft, den Wind und die unbegrenzte Freiheit der See wieder gefunden. Die düstere Enge des Waldes von Auray, der das Kloster auf allen vier Seiten umschlossen hatte, kam ihr erst jetzt richtig zu Bewusstsein. Der Wunsch, sich zu verstecken, zu verkriechen und zu büßen wurde schwächer. Ein wilder Lebenswille pulsierte immer stärker durch ihre Adern, und mit dem schwindenden Winter ließen auch die Albträume der Vergangenheit nach.
    Schon als Kind hatte sie aus dem Anblick der weiten, glitzernden Wasserfläche, die sich unter der Herrschaft des Windes immer wieder veränderte, Kraft und Trost gezogen. Locronan und das Meer gehörten zusammen. Trotz aller Gehässigkeit, aller Härte und Kränkung, die ihr unter dem Dach ihres Bruders widerfuhren, genoss sie das berauschende Gefühl, wieder zu Hause zu sein.
    Sie lief über den Sand bis zur Wasserkante. Sie achtete nicht darauf, dass der Saum ihres Rockes nass wurde. Sie breitete die Arme weit aus und hob das schmale Antlitz mit geschlossenen Augen dem böigen Wind und der Sonne entgegen, die auf ihrem Weg nach Westen den höchsten Punkt bereits überschritten hatte. Es war die Geste einer heidnischen Priesterin, die das Meer beschwor und die Wellen herbeirief. Eine Bewegung, die unter dem farblosen Gewand die geschmeidige Eleganz ihrer schlanken Gestalt erahnen ließ und den rötlichen Zopf ihrer ungebärdigen Haare in eine goldene Schlange verwandelte.
    Der Mann, der sie wie eine Erscheinung anstarrte, fand sich in einer Mischung aus Faszination und Bestürzung gefangen. Bestürzung, weil er sich in diesem Versteck allein gewähnt hatte. Faszination, weil die bewegungslose Gestalt eine nie gesehene Mischung aus Schönheit und leidenschaftlicher Lebensfreude ausstrahlte, die über reine Äußerlichkeiten hinausging. Es schien ihm, als wolle sie die ganze Welt umarmen und nie wieder aus den schlanken Fingern lassen.
    Ysobel fühlte instinktiv, dass sie nicht länger allein war. Die Gegenwart eines anderen Menschen drang auf eine Weise in ihr Bewusstsein, wie sie es noch nie verspürt hatte. Es schien, als mache sie sich unter ihrer Haut breit, dringe in ihren Kopf und versuche ihr einen fremden Willen aufzuzwingen. Weder Gratien noch Dame Thilda besaßen eine so starke Persönlichkeit. Niemand in der ganzen Burg hatte es bisher fertig gebracht, jene Fassade der Gleichgültigkeit zu durchbrechen, hinter der sie ihr wahres Ich versteckte. Wer wagte es, sie so zu bedrängen?
    »Wer bist du? Die Königstochter Dahut, die für eine kostbare Stunde dem Meer und dem Teufel entflohen ist, damit sie uns arme Sterbliche verführt?«
    Die Stimme wob das feine Spinnennetz der fremden Macht noch enger um ihre Sinne. Eine tiefe, klangvolle Männerstimme, ein wenig heiser, als wäre sie einmal über die Maßen beansprucht worden.
    Ysobel durchbrach den Bann und fuhr so blitzschnell herum, dass ihre Röcke noch nachwehten, als sie bereits wieder innehielt. Der Klang hatte ihr die Richtung gewiesen, und sie entdeckte den Mann im Eingang der Höhle, die sie selbst vorhin
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