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Ysobel – Das Herz aus Diamant

Ysobel – Das Herz aus Diamant

Titel: Ysobel – Das Herz aus Diamant
Autoren: Marie Cordonnier
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Apfelernte schuften und gleichwohl mit makelloser Alabasterhaut am Tisch sitzen. Lediglich die durchsichtigen Schatten unter ihren Augen kündeten von übergroßer Anstrengung und Schlafmangel. Dennoch wirkte sie nicht hässlich, sondern zerbrechlich und schutzbedürftig, unschuldig ...
    Ysobel wusste um die Abneigung ihrer Schwägerin, obwohl sie sich nicht erklären konnte, womit sie deren völlige Zurückweisung verdient hatte. Zugegeben, sie hielt Thilda für eine dumme, verschwendungssüchtige, eitle Gans, aber sie hatte es schon vor einem Dutzend Jahren klug vermieden, diese Meinung kundzutun. Woher sie wissen konnte, was sie von ihr hielt, war ihr schlicht ein Rätsel.
    »Es gibt keine Ysobel de Locronan mehr«, hatte die Dame bei ihrem Anblick gekeift. »Mit dem Eintritt ins Kloster hast du deine Rechte aufgegeben. Wenn du dennoch hier bleiben willst, wirst du als Magd für Kost und Logis arbeiten müssen. Und erwarte nicht, dass man dich als Schwester des Herrn ehrt. Er hat keine Schwester mehr!«
    Sie hatte nicht ahnen können, dass sich die junge Frau, die wie ein Schatten ihrer selbst nach Locronan gekommen war, noch mehr verachtete, als sie es tun konnte. Wären da nicht die Jahre der aufgezwungenen Frömmigkeit in Sainte Anne gewesen, sie hätte sich ohnehin vom höchsten Turm gestürzt. So indes empfand sie das Dasein als Magd als gerechte Strafe für das eigene Versagen.
    Im Verlaufe der Wochen und Monate indes regten sich die Reste ihres Stolzes. Sie versuchte Dame Thilda immer öfter aus dem Wege zu gehen, und deswegen huschte sie auch jetzt wie ein flinker Schatten am Aufgang zur großen Halle vorbei. Die Stimme ihres Bruders drang an ihr Ohr. Laut und wie immer schon um diese frühe Nachmittagszeit – schrecklich betrunken. Ysobel schüttelte in trauriger Resignation den Kopf. Von Gratien konnte sie ohnehin keine Hilfe erwarten. Sie verschwand im Dunkel der breiten Steintreppe, die zu den weitläufigen unterirdischen Gewölben von Locronan führte.
    Hier hatte früher der Reichtum des Lehens gelagert. Das Korn und die Rüben, die Fässer mit den eingesalzenen Fischen, die saftigen Schinken und die zahllosen Töpfe mit eingelegten Früchten und Gemüsen, die Säcke mit dem groben, grauen Salz. All die Vorräte, welche nicht nur die Menschen von Locronan ernährten, sondern dem Herrn der Burg auf den Märkten und Handelsplätzen zusätzliches Einkommen sicherte. Ysobels Mutter war eine Meisterin dieser Vorratshaltung gewesen, und sie hatte ihre Tochter darin ebenso geschult wie ihre Mägde und Dienstfrauen.
    Ysobel hatte schon kurz nach ihrer Heimkehr gemerkt, dass der Großteil der Kammern gähnend leer stand. Dass sich auch im vergangenen Herbst niemand darum gekümmert hatte, dass sie wieder gefüllt wurden. Man hatte weder die Pilze in den Wäldern gesammelt noch die feinen Wildäpfel und Birnen, die bis weit in den Winter hinein ihr Aroma und ihre süße Kraft behielten.
    Dame Thilda war dermaßen mit ihren prächtigen Gewändern, der Auswahl ihrer Schmuckstücke und dem Klatsch im Kreise ihrer hochnäsigen Gefährtinnen beschäftigt, dass sie anscheinend keine Zeit hatte, sich darum zu kümmern, woher das Gold kam, das sie mit vollen Händen ausgab. Stumme, mürrische Mägde ersetzten die tüchtigen Frauen, die Ysobels Mutter beschäftigt hatte, und Ysobel wagte nicht zu fragen, wo jene geblieben waren. Was die Burg benötigte, wurde von fremden Händlern gekauft, die dank ihrer saftigen Preise ein gutes Geschäft machten.
    Nach einer lebensgefährlichen, erschöpfenden Wanderschaft durch ihre ausgeblutete Heimat hatte Ysobel im vergangenen Oktober ihr Elternhaus erreicht. Aber trotz ihres eigenen Elends hatte sie bemerkt, dass ein Winter des Hungers und der Krankheiten auf das Land zukam. Zu zahlreich waren die Felder, die nicht bestellt worden waren, und die Dörfer, die entvölkert und verbrannt unter einem stürmischen Herbsthimmel lagen.
    Ihr Bruder und seine Gemahlin ignorierten die Warnzeichen. Dame Thilda kam lediglich auf Not und Sparsamkeit zu sprechen, wenn es darum ging, das Schicksal zu beklagen, das ihr eine weitere unnütze Esserin mehr in die Burg geschickt hatte, die sie nicht hinauswerfen konnte. Denn seltsamerweise widersetzte sich Gratien ihrer hartnäckigen Forderung, die Schwester kurzerhand wieder in einem anderen Kloster verschwinden zu lassen.
    »Jammert Ihr nicht ständig, dass es nicht genügend Frauen gibt, die Euch zur Hand gehen? Dass Ihr die groben Dorftrampel
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