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Young Sherlock Holmes 1

Young Sherlock Holmes 1

Titel: Young Sherlock Holmes 1
Autoren: Andrew Lane
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ihren Füßen lagen. Jeder von ihnen konnte gemeint sein. Die Lehrer in Deepdene hatten die Angewohnheit, die Schüler nie mit ihren Namen anzusprechen. Es hieß immer »Du!« oder »Junge!« oder »Kind!«. Das machte das Leben nicht gerade leicht und führte dazu, dass man ständig auf Zack sein musste. Was wohl auch der Grund dafür war, warum sie es taten. Entweder das oder die Lehrer hatten es schon vor langer Zeit aufgegeben, sich die Namen ihrer Schüler zu merken. Sherlock war sich nicht sicher, welche Erklärung am ehesten zutraf. Vielleicht beide.
    Keiner von den anderen Schülern zeigte eine Reaktion. Entweder plauderten sie mit Familienmitgliedern, die gekommen waren, um sie abzuholen, oder sie beobachteten ungeduldig das Schultor, wo jeden Augenblick die Kutsche auftauchen musste, die sie nach Hause bringen würde. Widerwillig drehte Sherlock sich um, um nachzusehen, ob der unheilvolle Finger des Schicksals auf ihn wies.
    Das tat er tatsächlich. Besagter Finger gehörte in diesem Fall MrTulley, dem Lateinlehrer. Er war gerade an der Stelle um die Ecke des Schulgebäudes gebogen, an der Sherlock abseits von den anderen Jungen herumstand. MrTulleys normalerweise von Kreidestaub bedeckter Anzug war extra für das Schuljahresende und die unvermeidlichen Begegnungen mit den Vätern gereinigt worden. Vätern, die für die Erziehung ihrer Jungen viel Geld bezahlten. Sein Doktorhut saß so gerade auf dem Kopf, als hätte der Direktor selbst ihn dort festgeklebt.
    »Ich, Sir?«
    »Ja Sir, du Sir«, blaffte MrTulley. »Sieh zu, dass du
quam celerrime
ins Direktorzimmer kommst. Reicht dein Latein noch, um zu wissen, was das heißt?«
    »Das heißt ›sofort‹, Sir.«
    »Dann beweg dich.«
    Sherlock warf einen Blick auf das Schultor. »Aber Sir … Ich warte auf meinen Vater. Er holt mich gleich ab.«
    »Ich bin sicher, dass er nicht ohne dich fährt, Junge.«
    Sherlock unternahm noch einen letzten kühnen Versuch. »Aber mein Gepäck …«
    MrTulley blickte abfällig auf Sherlocks arg ramponierten Holzkoffer hinab – ein ausrangiertes Utensil seines Vaters, das diesen einst auf seinen Militärreisen begleitet hatte und nach jahrelangem Gebrauch nun völlig abgewetzt und schmutzig war. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum jemand so was stehlen sollte«, sagte er. »Außer vielleicht wegen seines historischen Wertes. Ich hole einen Vertrauensschüler, der für dich aufpasst. Jetzt lauf los.«
    Widerwillig verließ Sherlock seine Habseligkeiten – ein paar spärliche Hemden und Unterwäsche, seine Gedichtbände und die Notizbücher, in denen er neben Ideen, Gedanken und Spekulationen hin und wieder auch Melodien notierte, die ihm in den Kopf kamen.
    Er ging auf die Säulenreihe der Eingangshalle zu, die die Vorderseite des Schulgebäudes zierte. Während er sich dabei zwischen unzähligen Jungen, Eltern und kleineren Geschwistern hindurchschob, behielt er stets den Zufahrtsweg im Auge, wo gerade ein dichtes Gedränge aus Pferden und Kutschen herrschte, die alle gleichzeitig durch das schmale Tor herein oder heraus wollten.
    Die Haupteingangshalle war mit Eichenholz getäfelt und ringsum von den Büsten ehemaliger Direktoren und Förderer gesäumt, die jeweils auf eigenen Sockeln thronten. Aufwirbelnder Kreidestaub ließ schräge Säulen von Sonnenlicht sichtbar werden, die von den hohen Fenstern aus auf den schwarz-weiß gefliesten Boden fielen. Es roch nach Karbol, mit dem die Dienstmädchen jeden Morgen die Fliesen putzten. Angesichts des dichten Gedränges in der Halle war es mehr als wahrscheinlich, dass in Kürze mindestens eine der Büsten umkippen und herunterfallen würde. Die großen Risse, die den echten Marmor einiger Büsten verunstalteten, ließen darauf schließen, dass kein Schuljahr verging, ohne dass nicht wenigstens eine von ihnen auf den Boden krachte und anschließend wieder repariert werden musste.
    Von jedermann unbeachtet, schlängelte er sich zwischen den ganzen Leuten hindurch, bis er auf einmal das Gewühl hinter sich gelassen hatte und in den Korridor gelangte, der von der Eingangshalle ins Gebäude führte. Das Studierzimmer des Direktors lag ein paar Meter weiter den Gang entlang. Er blieb an der Türschwelle stehen, holte tief Luft und klopfte seine Ärmelaufschläge ab. Dann pochte er an die Tür.
    »Herein!«, dröhnte eine theatralisch laute Stimme.
    Sherlock drehte den Knauf und drückte die Tür auf. Mit aller Macht versuchte er, einen Anfall von Nervosität zu
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