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Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Titel: Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren
Autoren: Oliver Bantle
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sie mich noch zorniger an.«
    »Ohne, dass du es bemerkt hast?«
    »Die Traumschlürfer sind klug und manipulieren ein Bild von Mal zu Mal – jeweils nur ein bisschen. Je grimmiger meine Mutter blickte, desto grolliger wurde ich. Mit der Zeit vergor meine alte Wut sogar zu Hass – der schmeckt den listigen Wesen besonders gut.«
    Meru machte Halt und atmete tief ein.
    »Es bereitet mir immer noch Mühe, mir das einzugestehen: Ich vergaß nicht nur meinen Lebenstraum, sondern ließ mich auch in anderen Herzensdingen gewaltig hinters Licht führen.«
    »In welchen?«
    »Die Schlürfer haben auch die Bilder gefälscht, die ich von Mira in meinem Gedächtnis trug. Wenn ich mich an sie erinnerte, hatte ich oft das Gesicht meiner Mutter vor Augen. Ohne, dass es mir auffiel. Das hat großes Leid hervorgebracht – bei deiner Großmutter und bei mir.«
    Durch den Enkel kroch ein Gefühl der Empörung.
    »Aber irgendwann müssen die blöden Schlürfer doch mitkriegen, dass sie gar nicht satt werden.«
    »Natürlich fällt ihnen das auf. Aber dann denken sie: Das nächste Mal brauchen wir einfach mehr Groll, und alles wird gut. Sie werden immer gieriger.«
    »Eines verstehe ich nicht«, sagte Yofi, als sie im Gras nebeneinanderlagen. »Warum hast du nichts gegen deinen Groll unternommen? Wo er doch immer größer wurde.«
    Der Alte seufzte.
    »Ich habe mich selbst angelogen«, sagte er leise. »Und mir eingeredet, alles sei in Ordnung.«
    Der Enkel spürte, wie dem Großvater jedes Wort schwerfiel.
    »In Wahrheit wollte ich vor mir selbst nicht zugeben, wie krank ich war.«
    »Du warst krank? Was hat dir gefehlt?«
    »Mein Lebenstraum hat mir gefehlt. Nur wusste ich das nicht. So wenig wie ich ahnte, dass der wichtigste Tropfen noch da war. Ich konnte ihn nicht spüren.«
    »Wie bei mir.«
    »Wie bei dir. Dort, wo früher der Traum war, hatte ich inzwischen eine große Wunde. «
    »Hat sie wehgetan?
    »Leider nicht.«
    » Leider? «
    »Eine Zeit lang habe ich gar nichts mehr gefühlt, nicht einmal Traurigkeit. Mein Herz war gelähmt – das Widerwärtigste, was ich je erlebt habe.
    Ich war absolut davon überzeugt, dass dieser Zustand sich nie mehr ändern würde. Da habe ich lieber Groll gespürt als gar nichts. Außerdem wollte ich die Wunde damit heilen.«
    »Mit Groll?«
    »Für kurze Zeit schmeckte er beinahe so wie der Lebenstraum: Mein Herz wurde warm, und ich fühlte mich lebendig wie sonst nie. Solange ich das spürte, war mir der Traum ziemlich gleichgültig. Und damit der Sinn meines Lebens. Ich vermisste ihn nicht einmal.«
    Sie trafen einen Elefanten. Er torkelte unter einen Marulabaum und trompetete.
    »Der hier hat einen anderen Weg gefunden, seine Wunde zu betäuben«, sagte Meru.
    Yofi kannte die Früchte des Marulabaumes: exquisite Leckerbissen. Ein Pavian hatte ihn einmal dazu überredet, sie zu versuchen. Wenn sie etwas gegoren sind, fühlt man sich verwirrt. Man kann nicht mehr gerade stehen und nicht mehr sprechen. Am nächsten Tag hat man Kopfweh.
    »Willst du damit sagen, dass die Schlürfer auf gegorene Elefantenbaum-Früchte stehen?«
    »Offenkundig. Es wird ja kurze Zeit warm in der Brust wenn man sie frisst. Und berauschte Zeitgenossen werden oftmals von heftigem Groll überfallen.«
    »Gibt es noch mehr Arten, sich zu betäuben?«, fragte Yofi etwas später.
    »Unzählige. Es gibt Nashörner, die erfinden stets neue Sorgen, mit denen sie sich beschäftigen können. Einige denken auch den ganzen Tag an den Kummer Anderer, nur um ihre eigene Wunde zu vergessen. Es gibt sogar welche, die verjagen alle Vögel vom Rücken, um sich von den Parasiten piesacken zu lassen. Manchem ist jeder Schmerz lieber als das lähmende Gefühl.«
    Bald darauf kamen sie an zwei Löwen vorbei, die schläfrig auf einem Felsen lagen.
    »Bevor ich es vergesse«, sagte Meru. »Angst trinken die Schlürfer fast so gerne wie alte Wut. Deshalb haben sich meine oft in einen Löwen verwandelt.«
    »In einen Löwen ?«
    »Es war in der Zeit, als ich noch klein war. Meine Mutter hatte wieder einmal viel zu tun und konnte sich nicht um mich kümmern. Ich trank etwas abseits der Herde aus einem Wasserloch. Plötzlich stand ein Löwe vor mir. Die anderen Mütter bemerkten ihn, mussten aber zuerst ihre eigenen Kinder beschützen. Ich hatte furchtbare Angst und fühlte mich vollkommen hilflos. Aber ich hatte Glück: Die Raubkatze war jung und unerfahren. Offenbar war sie genauso erschrocken wie ich.
    Sie blieb wie angewurzelt stehen,
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