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Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Titel: Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren
Autoren: Oliver Bantle
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ihm nicht.
    Die Luft war kalt, er verwandelte sich in eine Schneeflocke und landete auf dem Hohen Berg.«
    »Schnee besteht aus Wassertropfen?«, fragte Yofi erstaunt.
    »Sicher.«
    »Ich dachte, es ist weißer Sand.«
    »Schneeflocken sind gefrorene Regentropfen. Weißt du, wer sie zurückverwandelt?«
    »Nein.«
    »Die Sonne! Unter der Wärme ihrer Strahlen wird der Schnee wieder flüssig. Die Sonne kann sogar noch mehr: Wenn sie auf den Ozean scheint, werden die Wassertropfen ganz leicht, steigen nach oben und bilden eine Wolke.«
    Yofi sperrte das Maul auf.
    »Und der freche Tropfen?«
    »Eines Tages floss er den Berg hinunter und kullerte in einen Bach. Der mündete bald in einen Fluss. Es herrschte ziemlicher Trubel. Der Wassertropfen traf alte Bekannte und lernte neue kennen. Der Fluss wurde breiter, er näherte sich dem Meer. In dieser Gegend war der Tropfen schon einmal. Deshalb kannte er sich gut aus. Dachte er jedenfalls. Denn seit er das letzte Mal hier gewesen war, hatte sich die Landschaft verändert. Der Fluss bog nach links ab – der Tropfen war entsetzt.
    Das ist die falsche Richtung!
    ›HALT!‹, rief er. ›Alle mal zuhören! Wir müssen nach rechts. Das weiß ich genau!‹
    Das Wasser rauschte so laut, dass man ihn lange Zeit nicht hörte.
    ›STOPP!!!‹, schrie er und stemmte sich mit ganzer Kraft gegen ein Steinchen. Aufgebracht versuchte er die Anderen, Bekannte und Fremde, zu überreden. Dann wollte er dem Fluss erklären, dass es viel klüger, sicherer und kürzer wäre, nach rechts zu fließen statt nach links. Du kannst dir vorstellen, wie es ausging: Der Tropfen wurde müde und frustriert. Der Strom floss weiter nach links. Nichts hatte sich geändert. Außer der Laune des Tropfens.«
    »Aber was ist, wenn sich der Fluss geirrt hat?«, fragte Yofi.
    »Ich habe mir gedacht, dass du den Tropfen gut verstehst«, antwortete Meru. »Je älter ich werde, desto seltener bilde ich mir ein zu wissen, was richtig und was falsch ist. Auch wenn es manchmal anders wirkt. Ich stelle mir oft vor, ich wäre der Tropfen und das Leben der Fluss. Dann schaue ich genau: Was kann ich ändern, was muss ich ändern – und was ist seine Aufgabe.«
    »Aber der Tropfen konnte ja gar nichts selbst bestimmen«, widersprach Yofi. »Nur mit der Strömung fließen und nachgeben.«
    »Das sehe ich anders. Er konnte aus vielen spannenden Aufgaben wählen.«
    »Aus welchen denn?«
    »Er hätte die Fische aufheitern oder durch den Boden sickern können. Es wäre möglich gewesen, in einem Wasserloch aufzutauchen, auf dem Rücken eines Elefanten an Land zu gehen und mithilfe der Sonne eine weitere Flugreise anzutreten. Bei alledem hätte der Tropfen sein Bestes geben können. Nur eines vermochte er nicht: den Fluss zu lenken oder aufzuhalten.«

SECHS
    Sie wanderten durch ein bewuchertes Tal. Yofi gab sich alle Mühe, nicht an seinen Feind zu denken. Es misslang. Er hatte sogar den Eindruck, dass ihm Antros häufiger einfiel, und er wurde langsam, aber sicher zornig auf diese ominösen Traumschlürfer.
    »Man muss sich gegen die Lügen doch irgendwie wehren können!«
    »Ich kann dir nur beibringen, wie ich kämpfe«, gab Meru zurück. »Vielleicht findest du später einen anderen Stil, der dir mehr entspricht.«
    Yofi hob erwartungsvoll den Kopf.
    »Ich habe schmerzhaft einsehen müssen, dass ich den Großen Kampf nicht alleine bestehen kann. Aus eigener Kraft habe ich gegen die Traumschlürfer keine Chance. Deshalb habe ich mir angewöhnt, jeden Morgen um Hilfe zu bitten – damit ich für die Dauer eines Tages auf alte Wut verzichten kann.«
    Yofi rümpfte die Nase. Unter einer Schlacht stellte er sich immer noch etwas anderes vor.
    »Und bei wem bettelst du um Hilfe?«
    »Ich ersuche das Leben. Es ist die größte Macht, die ich kenne – und die weiseste.«
    »Soso, und hilft es dir, das Leben ?«, stichelte Yofi.
    »Wenn ich aufrichtig darum bitte: ja. Und wenn ich mir täglich vergegenwärtige, dass ich ein Tropfen in einem Fluss bin.«
    »Mit anderen Worten: Du passt dich an!«
    »Wenn du es so nennen willst. Ich habe aufgehört, mich gegen die Fügung zu wehren. Sie ist ohnehin stärker.«
    Der Enkel dachte ein Weilchen nach.
    »Wenn das Leben aber gar nicht will, dass dein Groll verfliegt?«
    »Dann wird es dafür seine Gründe haben. Auch wenn ich sie nicht durchschaue.«
    »Du ordnest deinen Willen also einfach unter.«
    »Der Wille des Lebens ist größer als meiner. Ich habe übrigens nie behauptet, dass es
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