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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln
Autoren: Alex Haley
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Jobs gleichzeitig machen müsse, um auf dem College bleiben zu können, wo er Landwirtschaft studierte. Als Bertha auch im nächsten Jahr, 1913, noch von ihm redete, schlugen Will und Cynthia ihr vor, ihn zu einem Besuch in Henning einzuladen, um sich ein genaueres Urteil zu bilden.
    Die »Neue Hoffnung MEK« war am Sonntag gerappelt voll, da sich herumgesprochen hatte, »Berthas Schatz vom College« werde anwesend sein. Er traf ein unter den neugierig musternden Blicken nicht nur von Will und Cynthia, sondern der ganzen schwarzen Gemeinde. Doch er schien ein ziemlich selbstsicherer junger Mann zu sein. Nachdem er ein Baritonsolo »Jesus im Garten von Gethsemane«, von Bertha auf dem Klavier begleitet, gesungen hatte, unterhielt er sich leichthin mit den Leuten, die sich um ihn auf dem Kirchhof drängten, schaute jedermann grade in die Augen, drückte fest die Hände der Männer und tippte zur Begrüßung der Damen höflich an seinen Hut.
    Bertha und ihr Simon Alexander Haley – das war sein voller Name – kehrten abends mit dem Bus nach Jackson zurück. Niemand hatte etwas gegen ihn einzuwenden, als man nun die Angelegenheit zu bereden begann – nach außen hin! Hinter vorgehaltener Hand jedoch zerrissen sich die Leute ihre Münder über seine auffallend helle Hautfarbe. (Er hatte der tief dunkelbraunen Bertha vertraulich mitgeteilt, was er von seinen Eltern, früheren Sklaven, über ihre Herkunft wußte: sie stammten beide von schwarzen Müttern, aber von weißen Vätern, übrigens beide irisch. Und vorväterlicherseits war da ein Aufseher gewesen, von dem man wenig mehr kannte als seinen Namen, Jim Baugh, und mütterlicherseits der spätere Oberst im Bürgerkrieg, James Jackson, aus Marion County, Alabama.) Immerhin waren sich alle über seine hervorragende Stimme einig, über seine gute Erziehung und darüber, daß er offenbar nicht hochmütig war, bloß weil er studiert hatte.
    In den Semesterferien ergatterte Haley einen Job als Schlafwagenschaffner und sparte jeden Pfennig, um auf das A & T Polytechnikum in Greensboro, Nord-Carolina, mit einer vierjährigen Aufbaustufe, überwechseln zu können. Mit Bertha tauschte er jede Woche Briefe. Als der erste Weltkrieg ausbrach, meldete er sich genauso wie seine Kommilitonen in den Abschlußsemestern freiwillig zur Armee. Bald kamen dann die Briefe an Bertha aus Frankreich, wo er 1918 im Argonner Wald eine Gasvergiftung erlitt. Nach monatelanger Behandlung in einem europäischen Lazarett wurde er zur endgültigen Genesung in die Heimat zurückgeschickt. 1919 kam er, nun völlig wiederhergestellt, nach Henning, und er und Bertha zeigten ihre Verlobung an.
    Ihre Hochzeit in der »Neuen Hoffnung MEK« im Sommer 1920 bedeutete für Henning das erste gesellschaftliche Ereignis, an dem Schwarze wie Weiße gleichermaßen Anteil nahmen. Will Palmer gehörte längst zu den angesehensten Bürgern der Stadt, aber darüber hinaus war ein so vollkommenes und auf ihrem Weg so unbeirrbares Mädchen wie Bertha der Stolz für jedermann in Henning. Der Hochzeitsempfang fand statt auf dem weitläufigen Rasen vor Palmers nagelneuer 10-Zimmer-Villa, die sogar ein Musikzimmer aufwies und eine Bibliothek. Dann wurde ein Festessen serviert. Und mehr Geschenke häuften sich, als man normalerweise bei drei durchschnittlichen Hochzeiten zu sehen bekam. Es gab sogar eine Gesangsdarbietung des komplett anwesenden Lane College Chores – in dessen Reihen sich seinerzeit das glückliche Hochzeitspaar kennengelernt hatte –, der in einem von Will Palmer angemieteten Bus von Jackson hergekommen war.
    Die kleine Bahnstation von Henning wimmelte nur so von Menschen, als Simon und Bertha spätabends den Zug der Illinois-Central-Eisenbahnlinie bestiegen, der sie in einer Nachtfahrt nach Chicago bringen sollte, wo sie umsteigen mußten, um einen Ort im Staat New York namens Ithaka zu erreichen. Dort wollte Simon sein Staatsexamen in Landwirtschaft an der Cornell-Universität ablegen, während Bertha die Absicht hatte, sich im nahe gelegenen Konservatorium für Musik zu immatrikulieren. Die ersten neun Monate schrieb Bertha regelmäßig Briefe nach Hause und berichtete begeistert von all den Erfahrungen, die sie in der Fremde machten, und davon, wie glücklich sie beide miteinander waren. Aber dann, im Sommer 1921, begann der Fluß der Briefe spärlicher zu werden und schließlich ganz zu versiegen. Cynthia und Will zeigten sich besorgt, daß bei Bertha irgend etwas schiefgelaufen sein könnte, worüber
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